Bei mir fing es im März 2016 – zeitgleich mit dem neuen Job – erstmalig an mit Magen-Darm-Problemen, vor allem Reflux. Im Juli 2016 wurde ein kleiner Zwerchfellbruch festgestellt, eine zweite Magenspiegelung im Herbst 2016 zeigte sonst keine Auffälligkeiten. Es wurden allgemeine Ernährungstipps gegeben, wie kein schweres Essen zu spät am Abend, erhöht schlafen und sonst ausgewogen ernähren. 2017 und 2018 hatte ich unregelmäßig wiederkehrende Refluxbeschwerden, teils mit starkem Reizhusten. Die Hausärztin fand keine Ursache. Im April 2019 ultraschallte die Urologin “versehentlich” beim Ersttermin auch den Bauch und entdeckte dabei zufällig einen 1cm großen Gallenstein. Solang dieser keine Beschwerden machen würde, müsste ich nicht aktiv werden. Im Oktober 2019 wurde nach einer weiteren Magenspiegelung neben abklingender Gastritis Laktoseintoleranz festgestellt. Bei einem Kuraufenthalt im Jänner 2020 ging die Diätologin mit mir gemeinsam den täglichen Ernährungsplan durch. Was ich aber nicht lernte, war, wie ich das auf den Schichtdienst übertragen konnte. Was ich dagegen lernte, war Fisch zu lieben.
Dann kam die Pandemie und es wurde alles anders.
Ungesunde Ernährung in der Pandemie
Ich schrieb darüber erstmals am 26. Juni 2020 darüber, wie es ist, wenn es keine Kantinen mehr gibt:
Ich kann nicht gut kochen und noch schlechter vorkochen, ich weiß oft nicht, worauf ich am nächsten Tag Appetit haben werde. Das war auch in der Kur eine Herausforderung, als Wochenpläne erstellt wurden. Salate mach ich mir nie, frische Zutaten fehlen oft. Weil es außer mir sonst keinen stört, gibt es auch keine Alternativen. Man hätte einen Take-Away-Service anbieten können, aber so wichtig sind wir dann doch wieder nicht.
Am 15. August 2020 erneuerte ich meine Kritik …
In der Umgebung meines Arbeitsplatzes arbeiten mehrere tausend Mitarbeiter unterschiedlicher Firmen und es gibt kein gegenwärtig kein offenes Restaurant mit preisgünstigen, gesunden Speisen. Viele mit Familie nehmen sich was von zuhause mit, aber das ist für mich keine Option. Ich weiß ja oft nicht einmal, worauf ich am nächsten Tag Hunger habe, und nach einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag stell ich mich nicht mehr abends hin und fange an zu kochen. Die letzten Wochen war es mir überhaupt zu warm in der Wohnung, da hab ich nicht einmal tagsüber an freien Tag gekocht, sondern ging immer essen. In meinen Augen kann man die Verpflegung nicht einfach so abdrehen. Im Schichtdienst ist es nochmal wichtiger, dass man sich gesund ernährt – das ist seit Monaten nicht der Fall!
Dann kam mein Geburtstag, ich naschte ein paar Brombeeren im Wald und hatte danach sechs Wochen lang wieder ein flaues Gefühl im Magen und musste auf fettreiche Kost verzichten.
Am 16. Dezember 2020 …
Nach zehn Monaten ohne Kantine wäre ich heilfroh darüber, wenn wieder einmal jemand etwas Gesundes für mich kochen würde. Das vermisse ich schon sehr.
Im Februar 2021 hatte ich dann die erste Gallenkolik, war deswegen sogar im Spital, aber wurde nicht untersucht und mit Schmerzmitteln nach Hause geschickt. Erst ein paar Tage später sah der Radiologe noch am Gallensand, das da was abgegangen ist. Der Gallenstein war inzwischen von 1cm auf 1,5cm gewachsen und lag vor dem Gallengang.
Am 7. März 2021 inmitten der dritten Welle schrieb ich …
“Jetzt muss die Gallenblase früher oder später raus, aber an OP ist die nächsten Wochen nicht zu denken. Keine Lust, mich ein Jahr lang erfolgreich durchgewunden zu haben, kurz vor der Impfung zu stehen (wahrscheinlich April), und dann steck ich mich im Krankenhaus an. Ne, danke. Bei einer Kolik wirds mir nicht erspart bleiben, aber solange hoffe ich, dass der Stein ruhig bleibt und ich noch die Impfung mitnehmen kann.”
Im November 2021 klang wieder eine Gastritis ab, die ich mir durch zu fettreiche Kost mit Alkohol und Süßigkeiten am Nationalfeiertag eingehandelt hatte. Bis Jänner 2022 quälte ich mich mit Magendarmbeschwerden herum. Die nächste Internistin untersuchte auf Verdacht MCAS (Mastzellenaktivierungssyndrom) und verschrieb einen optionalen Mix aus Tabletten (Gut Decision, Famoditin, Antihistaminikum). Subjektiv geholfen hat nur Famoditin. Die letzten Monate waren sehr herausfordernd mit Essen, ich konnte nichts vorausplanen, musste täglich in meinen Körper hineinhorchen. Sehr mühsam, gerade ohne Kantinenessen, sehr kraftraubend.
Gallen-OP
Vor zwei Wochen ist es dann passiert. Es war der einzige Tag mit Regen seit Wochen. Ich wollte mittags auf Arbeit nicht im Noodleking sitzen wegen dem Infektionsrisiko. Ich sitze sonst immer draußen – was sonst gut geht aufgrund des Dauerschönwetters. Mitnehmen konnte ich aber nicht aufgrund der Verkettung unglücklicher Umstände. Sie hatten von Wegwerfgeschirr auf Mehrweggeschirr umgestellt. Darauf war ein QR-Code abgebildet. Dafür brauchte man eine extra App und einen Einsatz, den man nur mit Kreditkarte oder Paypal bezahlen konnte. Beides wusste ich nicht auswendig, weil ich das am Handy normalerweise nicht nutze. Aus Frustration ging ich dann zum Burgerking und bestellte einen Doppel-Whopper. Schon nach der Hälfte des Burgers merkte ich, dass mir das fettige Rindfleisch gar nicht gut tat und ich warf den Rest weg. Die Pommes hab ich dann trotzdem gegessen. Ab da hatte ich zunächst ähnliche Symptome wie in den Vorjahren, der Körper lief heiß an, Gliederschmerzen, Völlegefühl.
Als es sich diese Woche nicht gebessert hatte und Rückenschmerzen dazu kamen, die bis zu den Schultern ausstrahlten, ließ ich mir ein Ultraschall geben und da waren es plötzlich zahlreiche Gallensteine bis 1,5cm Größe. Die Gallenwand war deutlich verdickt wie nach einer Entzündung. Mir war sofort klar, was das bedeutete, und daher werde ich nächste Woche operiert und die Gallenblase dabei lapradoskopisch (minimalinvasiv) enfernt.
Oft thematisiert, aber nicht ernstgenommen
Am 1. Dezember 2021 hatte ich den Essensfrust hier zuletzt ausführlich thematisiert – auch im Kontext meiner Autismus-Diagnose, die auf Arbeit sonst keine Rolle spielt.
“12-Stunden-Dienste waren in der Vergangenheit energiehaushaltstechnisch anstrengend, aber durch die Kantinen ersparte ich mir das mühsame einkaufen, Essen planen, kochen, abwaschen, ggf. einfrieren (oder wegwerfen). Mehr noch – das Essen war ausgewogen, ich konnte immer wählen mit Salaten, Suppen, Fisch, gekochtem Gemüse, Fleisch oder vegetarisch. Ich fand immer etwas, das mir zusagte. Seit März 2020 ist mein Essen ziemlich einseitig. Fisch meistens nur kalt aus der Verpackung oder Dose, Suppen alle paar Wochen mal auf einer Berghütte, Salat wenig, weil ich Rohkost schlecht vertrage. In meinem jetzigen Magenzustand bräuchte ich gekochtes Essen in jeder Form, also das, was den meisten Aufwand macht. Viele Fertigsoßen in Fertiggerichten vertrage ich nicht, entweder Laktose oder zu viel Fett.”
Ich kann mich noch erinnern – vor meinem Wechsel von Salzburg nach Wien, als ich den Salzburger Kollegen fragte, wie es dort mit Kantinenverpflegung ist. Der schaute mich irritiert mit großen Augen an, das sollte doch an meiner Stelle zweitrangig sein. Aber so ist das eben. Die Mehrheit, gerade jene mit Familie oder die regelmäßig zu ihren Eltern fahren können, denn auch das wäre ja schon eine Verbesserung, wenn ich Verwandte in Österreich hätte und ab und zu mal zum Essen kommen könnte, haben keine Vorstellungskraft, wie das für mich ist, sich um alles selbst kümmern zu müssen – und, das ist der entscheidene Unterschied, wenn man als Autist aufgrund der anderen Umstände ständig am persönlichen Energielimit steht, und einfach nicht mehr kann.
Ich hab das auch auf Arbeit mehrfach thematisiert – bei jenen in der Zentrale, die für Gesundheitsschutz zuständig sind.
“Das geht allen gleich so. Da können wir nichts machen. Man muss sich selbst versorgen.”
Die Zentrale ist inzwischen in einen neuen Büroturm gezogen, mit Kantine, und in der Stadt natürlich hunderten Liefermöglichkeiten. Wir existieren einfach nicht.
Hab ich es unter Kollegen angesprochen, hieß es immer
“Nimm dir halt was mit, koche vor.”
Ich hab zugegeben auch nicht viel Vorstellungsvermögen beim Kochen. Einfache Gerichte gehen, aber keine aufwendigen Braten, Fisch oder Backofengerichte. Da bin ich vermutlich zu verwöhnt von Gasthausbesuchen, aber ich habe nicht die Muße, mich zwei Stunden in die Küche zu stellen, um einen Tafelspitz für eine Person vorzubereiten. Das Einkaufen ist mühsam, das Zubereiten, das Wegräumen, der ganze Aufwand dafür, dass ich dann in fünfzehn Minuten aufgegessen habe. Vielleicht würde ich mir diese Mühe eher machen, wenn ich nicht im Schichtdienst arbeiten müsste (12-Std.-Schichten). Ich habe gelernt, dass es nicht gut ist, nach 19 Uhr noch schwer zu essen, komme aber nach dem Dienst oft erst gegen 20 Uhr nach Hause – zu spät für ein Abendessen, aber auch zu spät, um vorzukochen. Keine Löffel mehr übrig. An freien Tagen bin ich froh, wenn ich mich bewegen darf und kann und will keine extra Zeit fürs Kochen einplanen müssen. An Tagen mit Nachtschichten davor bin ich tagsüber oft erschöpft und zu nichts fähig. Bei Tagdiensten ist je nach Arbeitsaufwand nicht immer Zeit – und meistens auch nicht mittags – um eine Stunde in der winzigen Küche zu stehen, wo es nicht mal einen Backofen gibt.
Ich hab die Gewerkschaft – vor allem wegen der Sabotage von echten Schutzmaßnahmen gegen Covid, aber auch wegen der Kantine – angeschrieben, die haben mir nicht mal geantwortet. Darauf bin ich ausgetreten, auch darauf keine Antwort. Dann wurde Wochen später mein Austritt bestätigt, ich begründete nochmals, weshalb, wieder keine Antwort.
Ich hab es dem Betriebsrat mehrfach gesagt, er konterte ungehalten, dass er dafür nicht zuständig sei.
Ich hab es bei einer Gelegenheit, nach einer Magenspiegelung, als mich der Gastroenterologe in der Arbeit anrief, anschließend dem Chef gesagt, der gerade auch Dienst hatte. “Ich brauch wieder eine Kantine, verdammt, gesundes Essen.” – Keine Reaktion.
NIEMAND. FÜHLT. SICH. ZUSTÄNDIG.
Ich bin nicht der Einzige, oder? Oder??
Ich komm mir wie im falschen Film vor. An den viel kleineren Bundesländerflughäfen gibt es schon seit dem ersten Pandemiesommer wieder eine Kantine oder Restaurant oder Take-Away-Möglichkeit. In Schwechat mit mehreren tausend Mitarbeitern gibt es nichts, und niemand fühlt sich zuständig?! Ich werde sicher nicht der einzige mit Magendarm-Vorerkrankungen sein. Es gibt genügend wissenschaftliche Studien, dass Schichtarbeit ungesund ist, dass Ernährung noch wichtiger ist, um Folgeerkrankungen wie Diabetes oder eben Magen-Darm-Probleme zu vermeiden. Das Einzige, was es gab, waren Essensgutscheine. In diesem Jahr gelegentlich eine kalte Jause am Feiertag, natürlich meistens mit etwas belegt, was ich wieder nicht vertragen habe. Danke, kalte Jause schaff ich gerade noch alleine. Ich sah in den zwei Jahren Pandemien sehr viele Mitarbeiter am Flughafen zu McDonalds oder Burger King gehen, mangels Alternativen. Wer in der Abflughalle arbeitete, hatte etwas mehr Auswahl – für uns war der Weg dafür schon zu weit. Es ist natürlich auch keine echte Mittagspause, wenn man die im Büro verbringen muss, als wenn man physisch woanders ist. Am gesamten Flughafen gibt es außerdem kaum Sitzgelegenheiten im Freien, um dort seine Jause zu verzehren. Es gibt vor allem Parkplätze, Beton und Zufahrtswege. Ich saß oft am Parkplatz auf den einzigen Sitzbänken und verzehrte frustriert meinen Burger.
Jetzt hab ich die Quittung von zwei Jahren ungesunder Ernährung erhalten. Wie es nach der OP weitergehen soll, wo definitiv eine Ernährungsumstellung notwendig ist, weiß ich nicht. Vielleicht hätte ich all das irgendwie hingekriegt, OHNE Pandemie, ohne die 1,5 Jahre Zittern, als man uns alle rauswerfen wollte, auch jetzt ohne den Krieg und Energiekrise und einen allgemeinen Abwärtsstrudel, der gar nicht mehr aufhört. Die Begleitumstände machen es nicht einfach für mich, etwas durchzuziehen. Dafür bräuchte ich einen freien Kopf. Man ist natürlich oft frustriert, oder besorgt, wenn sich nahestehende Menschen infizieren, mitunter nicht mehr völlig fit werden. Die Gesamtsituation ist sehr belastend und alles alleine durchzustehen, überfordert mich regelmäßig, geht ständig über meine Grenzen. Jetzt muss ich mir quasi Vorwürfe machen lassen, ich hätte doch öfter daheim kochen können, was mitnehmen. Ich hab das versucht, was ich kann, aber manchmal konnte ich meine Frustration nur in Süßigkeiten-Fressanfällen ertränken, habe eben ungesund gegessen, weil Essen das einzige war, was blieb – wo ich eben nicht das Haus verlassen musste dafür, um wie ein Haftelmacher auf Infektionsrisiko aufzupassen.
Nimmt man mir bissl den Druck weg, funktionieren zu müssen, könnte ich leichter versuchen, einen Weg zu finden, der für mich passt. Mit ständig neuem Druck reißen gute Vorsätze aber dauernd ein. Das geht dann letzendlich nur über professionelle Hilfe und eine Ernährungsberaterin, die einbezieht, dass ich alleine lebe, Autist bin und Schicht arbeite. Vor allem brauche ich eine dauerhafte Lösung und nicht etwas, was ich 2,3 mal machen kann und dann passt es nicht mehr oder ist zu aufwändig.
Es fällt mir schwer, dafür ein Like abzugeben. Ich möchte Dir mitteilen, dass ich Deine Situation gut nachvollziehen kann. Ich drücke Dir die Daumen für die OP und wünsche Dir ganz viel gute Besserung!
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Ich wünsche Dir gute Besserung und alles Liebe.
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