Sars-CoV-2: Gegen die Panik

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Raus aus der Wohnung in die Natur, das lenkt ab und hilft seelisch.

Autisten leiden wesentlich häufiger unter Angsterkrankungen als Nichtautisten. Dazu zählen vor allem auch soziale Phobien, etwa der Aufenthalt gemeinsam mit Menschenmassen, z. B. in Einkaufszentren oder in den Öffis, aber auch in touristisch überlaufenen Innenstädten. Es ist eine Mischung aus “sich exponiert/beobachtet fühlen”, “oft unbegründete Ängste, sich falsch zu verhalten” und “Überflutung durch äußere und mentale Reize”, letzteres die Gedankengrübeleien, die nicht aufhören, etwas ewig durchdenken müssen”. Soziale Phobien hindern uns in Kombination mit der autistischen Erschöpfung oft daran, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Je stärker die Erschöpfung, desto schwieriger fällt es einem, als neurotypisch durchzugehen, die sozialen Gepflogenheiten zu beachten, die von der neurotypischen Norm vorgegeben sind. Abhängig von der kognitiven Intelligenz (Fähigkeit zur Selbstreflexion) bemerkt man dieses Unvermögen und die Ängste und Kreisgedanken verstärken sich, dass das soziale Unvermögen bemerkt und kommentiert wird. Dies als Vorbemerkung und als kleiner Seitenhieb auf das häufig gehörte “wir sind doch alle ein bisschen autistisch, nicht?” Ich bezweifle das persönlich sehr, dass Nichtautisten diese Art von Ängsten regelmäßig haben. Angst ist also ein stetiges Thema bei Autismus und wirkt sich neben chronischem Stress (Reizüberflutung, exekutive Überforderung, etc.) massiv negativ auf das Immunsystem aus.

Die Berichterstattung über das Coronavirus bereitet wahrscheinlich mehr Sorgen und mitunter irrationale Ängste als die reelle Gefahr, sich anzustecken, und auch wie sich das mittelfristig auf unseren Alltag und unsere Pläne/Routinen auswirken wird. Wenn ich mit einem ernsthaften (medizinischen) Problem konfrontiert bin, versuche ich möglichst viel darüber zu lesen, natürlich seriöse Informationen und keine Zeitungsberichte mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitatschnipseln.

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Reduzierter Gefühlsausdruck

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Dies ist die deutsche Übersetzung der mind-blowing Tweetkette einer Autistin darüber, wie sich ein reduzierter Gesichtsausdruck auf das Umfeld auswirken kann. Zum besseren Verständnis sollte man sich den Thread später noch einmal anschauen, weil die Autorin entsprechende Selfies von ihrer Mimik gemacht hat. Aus Datenschutzgründen möchte ich die Bilder bei mir nicht hochladen. Mind-blowing deshalb, weil ich mich darin eins zu eins wiedererkannte. Schwierigkeiten, Gefühlsregungen in der Mimik zu zeigen, wurden bereits in dem Buch von Brit Wilczek – Wer ist hier eigentlich autistisch? aufgeführt:

“Sehr häufig sind dabei Aussagen wie “Du guckst so ernst/traurig” – obwohl es dem Betreffenden gerade gut geht oder er sich stimmungsmäßig neutral fühlt.”(S.178)

“Generell werden auch generelle Rückmeldungen zur Außenwirkung der Betroffenen gegeben, die so gar nicht zu dessen Selbstbild passen.”(S.178)

“Arztbesuche enden in Verzweiflung, da seine ernsthaft, aber wenig ausdrucksstark vorgetragenen Symptomschilderungen kaum Resonanz hervorrufen und in der Folge schlicht nicht ernst genommen werden. “(S.238)

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Unauffällige Autisten

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Eigentlich arbeite ich derzeit an einer umfassenden Definition von Autismus, aber vorher liegt mir noch ein Thema am Herzen, das betrifft vor allem jene “Asperger”-Autisten, die spätdiagnostiziert wurden, also viele Jahre oder gar Jahrzehnte unauffällig blieben: Uns wird oft nachgesagt, wir seien viel milder betroffen, unser Autismus sei viel leichter oder ganz anders als bei jenen klassischen Autisten. Liebe Nichtautisten, das ist Eure Außenansicht. Das Innenleben schaut oft anders aus. Als ich neulich bei meiner neuen Hausärztin war, erzählte sie von dem Patienten mit Asperger, der, wenn das Wartezimmer zu voll ist, schnurstracks wieder hinausgeht, weil er die Reizüberflutung nicht aushielt. “Ich kann das nachvollziehen,” bestätigte ich spontan, “Das hab ich auch schon gemacht.” fügte ich ehrlich hinzu, denn es ist erst ein Jahr her, als ich wegen einer Overloadsituation in einem Ambulanzwarteraum wieder das Weite gesucht hatte. Continue reading

Strategien von Autisten im Umgang mit Schwierigkeiten im Berufsalltag (II)

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Ruhepol der Natur als Energieressource für den Berufsalltag

Dieser Beitrag war schon länger geplant, ist aber doch relativ umfangreich in der Umsetzung. Im ersten Teil hab ich das Buch Kohl, Seng, Gatti (Hrsg.): Typisch untypisch. Berufsbiografien von Asperger-Autisten. Individuelle Wege und vergleichbare Erfahrungen, 2017 umfangreich rezensiert (Link). Im zweiten Teil geht es um einen gemeinsamen Nenner bei der Beantwortung der vorformulierten Interviewfragen für die 22 interviewten Autistinnen und Autisten. Ich möchte mich dabei auf konstruktive Strategien bei Problemen im beruflichen Alltag beschränken. Welche Bewältigungsstrategien funktionieren, was führt zu einer Verschärfung der Problematik? So mancher Leser mag sich denken, hey, das kenne ich auch und ich bin nicht autistisch! Aber das ist kein Widerspruch, denn es gibt keine autistischen Alleinstehungsmerkmale. Erst die Summe bestimmter Symptome qualifiziert für die Diagnose Autismus. Manche Strategien helfen neurotypisch denkenden Menschen also genauso, andere laufen intuitiver ab als bei Autisten – sie müssen darüber nicht extra nachdenken.

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“Das haben aber viele – sind das auch alles Autisten?”

Das Bild zeigt eine Nelkenart auf einem waagrecht hervorstehenden Pflanzenstängel über Waldboden.
Autismus: Der Blick fürs Detail

Wenn ich über Probleme durch meinen Autismus im Alltag spreche, was ohnehin nur sehr selten vorkommt, höre ich oft: “Das kenne ich auch, das haben viele Leute.” Großteils ist es den Leuten, die diese Aussage treffen, wahrscheinlich nicht bewusst, dass sie uns Autisten damit absprechen, autistische Besonderheiten aufzuweisen. Denn eines ist wichtig: Es gibt kein Alleinstehungsmerkmal bei Autismus! Erst die Anzahl spezifischer Merkmale (gemäß den derzeitig gültigen Diagnosekriterien, die sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder wandeln bzw. anders gewichtet werden), die zeitliche Beständigkeit und die resultierenden Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebenssituationen (Beruf, Alltag, Freizeit, Familie) qualifiziert für eine Autismus-Diagnose. Continue reading