Wutausbrüche und Meltdowns

In diesem Artikel, der mehrfach Ludger Tebartz van Elst zitiert, wurde viel hineingepackt, vielleicht zu viel, weil nicht alles ausgewogen diskutiert werden konnte, aber ich finde ihn nicht so schlecht. Den perfekten Artikel über Autismus gibt es ohnehin nicht.

Änderung der Lebensumstände führt zu enormem Stress, der sich häufig in Wutausbrüchen, aber auch selbstverletzendem Verhalten entlädt. Sich schaukeln wirkt dann beruhigend auf viele Autisten.

Ein Punkt, worin sich Autisten jedoch nicht immer einig sind und Unwissende möglicherweise ein unvollständiges Bild entwickeln, ist das Thema Wutausbrüche. Nachdem das von mir rezensierte Buch auch vom Autor in den Quellen genannt wurde, nehme ich an, dass die hier zitierte Passage aus dem Buch abgeleitet wurde, und zwar ist hier die autistische Stressreaktion genannt, die van Elst folgendermaßen erläutert:

Sie wird ausgelöst durch Reizüberflutung, Erwartungsfrustation, Missverständnisse und Berührungen, und führt dann zu …

  • Wutattacken mit überschießender Aggression
  • dissoziativer Rückzug, Mutismus, Anspannungszustände, Selbstverletzungen
  • motorische Stereotypien zur Anspannungsregulation

Der Autor hat in meinen Augen die drei Auswirkungen der Stressreaktion in ein verständliches Deutsch übersetzt und dabei zwangsläufig verkürzt.

Zumindest die im Internet vernetzten Autisten kennen diese Wutattacken unter der Bezeichnung Meltdown, den Rückzug und Mutismus unter Shutdown und die motorischen Stereotypien unter Stimming. Continue reading

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Peter Schmidt bringt es auf den Punkt

Im 2016 erschienen Buch von Georg Theunissen, “Autismus verstehen. Außen- und Innenansichten” wurde eine geniale Symbiose aus fachlichen Kommentaren und Ideen sowie den Erfahrungen von Autisten selbst geschaffen. Das Buch ist reich an Literaturhinweisen. Insbesondere ein neueres Paper von Courchesne et al. (2015) wird mehrmals erwähnt, wo hervorgehoben wird, dass die Intelligenz von autistischen Kindern deutlich unterschätzt wird, also gemeinhin jene früher als “niedrigfunktional” eingestufte Kinder, die beim Wechsler-IQ-Test unterdurchschnittlich abschneiden, bei anderen IQ-Tests, bei denen Sprache nicht im Vordergrund steht, aber normal abschneiden, teils sogar schneller sind als nichtautistische Kinder. Im Prinzip bekräftigt diese Studie lediglich das, was viele autistische Mütter bereits wissen: Nicht vorhandenes oder nur geringes Sprachvermögen heißt nicht, geistig behindert zu sein!

Zurück zu Peter Schmidt. Er bringt in wenigen Sätzen wesentliche Voraussetzungen für autistische Grundbedürfnisse am Arbeitsplatz auf den Punkt:

  • Klare Anweisungen und Ziele
  • Feste, verlässliche Strukturen
  • Freiheiten in der Umsetzung: Wege zum Ziel dürfen und sollen gerne aufgezeigt, aber nicht vorgeschrieben werden (außer rechtliche Vorgaben und Standardprozeduren).
  • Aufgaben werden i.d.R. sequentiell und nicht durch Multitasking gelöst.

Der wichtigste Punkt in meinen Augen:

Es darf grundsätzlich nicht das gleiche Arbeitsverhalten erwartet werden wie von den Kollegen, weil ein Autist nur dann erfolgreich die ihm übertragenen Aufgaben lösen kann, wenn er seine eigene Ordnungen, Routinen und Ritualen nachgehen kann. (Seite 165)

Dazu passt auch ein weiteres Zitat eines jungen Autisten gut:

Es gibt keinen Autismus. Ich denke nur anders! (S. 98)

Wenn diese (und weitere) Rahmenbedingungen nicht geschaffen werden können, entstehen Situationen, die in weiterer Folge meist unweigerlich zum Rückzug, Isolation und innerer Kündigung führen.

Aber: Jedes Entgegenkommen lohnt sich und schlägt sich in der Produktivität und Arbeitsleistung nieder!

Wichtig: Alles, was hier aufgezählt wurde, gilt für alle Autisten, nicht nur für sogenannte hochfunktionale oder Asperger-Autisten. Es kann aber sehr wohl schwieriger für jene mit (mehrfachen) Begleiterkrankungen sein.

Vollständige Liste aller von mir gelesenen Bücher rund um Autismus (und neurologische Besonderheiten)

Autismus, genetisch betrachtet von Rolf Knippers

knippers

Ein emotional herausforderndes Buch, weil es aus der defizitorientierten Perspektive geschrieben ist. Es beinhaltet eben gerade jede Formulierungen, die von Aleksander Knauerhase in seinem Buch und von vielen anderen Autisten, oft berechtigt, kritisiert werden. Wenn man sich an den Begriff Störung gewöhnt hat, ist es hochinteressant zu lesen und zeigt auf, woher die Vielfalt des autistischen Spektrums eigentlich kommt. Ebenso wird deutlich, weshalb die bisherige Einteilung Kanner, Asperger, atypisch nicht unbedingt zielführend ist, weil sie auf Verhaltensbeobachtung basiert und nicht auf genetische Besonderheiten. Continue reading

Job-Tipps für Autisten von Barbara Bissonnette

Den Autismus-Job-Coach hab ich bereits früher erwähnt. In ihrem Newsletter werden immer wieder Situationen im Jobkontext besprochen, die zu Spannungen zwischen autistischem Mitarbeiter und Arbeitsumfeld führen können. Beziehen kann man den Newsletter hier.

Wie kann man mit Änderungen am Arbeitsplatz umgehen?

Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen der aktuellen und vergangenen Situation. Welches Wissen, welche Fähigkeiten und Erfahrungen kannst Du auf die neue Situation oder Deinen neuen Arbeitgeber übertragen? Was kannst Du tun, um Dich auf die neuen Umstände einzustellen?

Frage nach, wenn Du Dir unsicher bist, was Du anders machen sollst.

Halte davon Abstand, missbilligende Kommentare über Deinen derzeitigen oder früheren Vorgesetzten bzw. Deine Kollegen zu machen. Die Leute könnten sich fragen, warum Du nicht mit den anderen klarkommst.

Falls Du einen neuen Vorgesetzten bekommst, widersetze Dich nicht, wenn Du darum gebeten wirst, einen Aspekt Deines Jobs anders zu handhaben oder neue Verantwortungen zu übernehmen. Sieh das als Chance, etwas neues zu lernen, das Deinen Job einfacher, interessanter und sicherer machen könnte.

Sprich nicht darüber, welche Gewohnheiten Du hattest oder warum der alte Weg besser war. Es lässt sich unflexibel gegenüber Änderungen erscheinen.

Der Unterschied zwischen arbeitsbezogenen und sozialen Fehlern

Arbeitsbezogene (technische) Fehler kommen gelegentlich vor, soziale Fehler wie aufrührerisches Verhalten, schlechte Laune, etc. bringen jedoch Unruhe in das gesamte Team und verringern die Produktivität.

Der Vorgesetzte erwartet, dass man Fragen stellt, wenn man eine Aufgabe nicht verstanden hat. Wenn man jedoch die Aufgabe selbst in Frage stellt oder sagt, dass das Prozedere keinen Sinn ergibt, impliziert das, dass andere ihren Job nicht sorgfältig erledigen. Ein guter Team Player akzeptiert die Richtung. Es könnte sehr vernünftige Gründe geben, weshalb Aufgaben auf diese Art erledigen werden. Wenn man weiterhin die Anweisungen und Methoden in Frage stellt, frustriert man die Leute und deren Lust auf eine Zusammenarbeit schwindet.

Viele autistische Mitarbeiter sind sich nicht bewusst, dass Fehler betreffend die zwischenmenschliche Kommunikation genauso zum Jobverlust führen können wie arbeitsbezogene Fehler. Deshalb sollte man jedes Feedback über ungewünschtes Verhalten ernstnehmen. Es ist durchaus möglich, Beziehungen zu verbessern und die Art und Weise zu ändern, wie man wahrgenommen wird. Doch müssen die Änderungen konsistent sein.

 

Das Rad neu erfinden

Diese Redewendung bedeutet: einen beträchtlichen Zeitaufwand dafür verwenden, etwas zu erfinden, was bereits existiert oder unnötige oder redundante Vorbereitungen treffen. Ebenso kann man sich darin verlieren, Details zu perfektionieren, die für die Aufgabe nicht relevant sind. Jobsuchende erfinden das Rad neu, wenn sie einen Lebenslauf von Null beginnen statt sich Beispiele anzusehen, wohin man den Fokus legen sollte.

Das Rad neu erfinden ist nicht dasselbe wie eine echte Verbesserung oder Neuerung zu machen. Arbeitgeber schätzen Ideen, die die Produktivität erhöhen, solange sie mit den Zielen und Prioritäten des Unternehmens übereinstimmen. Bevor man eine Änderung vorschlägt, sollte man überlegen, wo sie gebraucht wird. Was sind die Vorteile für Dich und/oder andere innerhalb der Organisation? Spart es Zeit oder Geld? Kannst Du spezifische Vorteile identifizieren oder dreht sich die Idee lediglich um Deine persönlichen Vorlieben?

Denke auch darüber nach, welchen Aufwand es kostet, die Idee in den Betrieb einzufügen. Ist der Vorteil groß genug, um benötigte Zeit, Geld und Aufwand zu rechtfertigen? Muss das Unternehmen Kollegen extra trainieren oder neues Equipment anfordern?
Letzter Punkt: Arbeite nicht in einem Vakuum. Stelle Fragen und teile die Ideen mit anderen von Beginn an und es können sich wichtige Informationen ergeben, die Deine Ideen bekräftigen oder in Zweifel bringen.