In diesem Jahr ging für mich viel vorwärts. Leicht ist es nie. Beim zweiten Job konnte ich frühzeitig darauf achten, bestimmte Fehler vom ersten Job nicht zu wiederholen, etwa die richtige Kleidung, soziale Gepflogenheiten, aber auch das rechtzeitige Coming Out, bevor der äußere Eindruck und die tatsächliche Absicht zu stark divergieren. Autismus verschwindet nicht, nur weil man plötzlich über viele Hintergründe für sein eigenes Verhalten Bescheid weiß. Autistisches Verhalten ist die Folge der anderen Wahrnehmung. Meine Wahrnehmung wurde durch die Diagnose nicht nichtautistisch, sie ist autistisch geblieben. Zeitweise sah es so aus, als müsste ich meine andere Wahrnehmung ausführlicher erläutern, um mehr Verständnis und Entgegenkommen zu ermöglichen. Ein Zufall sorgte dafür, dass ich das nicht mehr musste, sondern im bald dritten Job sehr strukturierte Arbeitsabläufe vorfinden werde, die meinem autistischen Streben nach Gleichförmigkeit, Ordnung und festen Prioritäten sehr entgegenkommen.
Ich gebe aber offen zu, dass ich immer noch Angst habe, offen mit meinem Autismus umzugehen. Ich schrieb wochenlang an Erklärungen, die ich vis-à-vis nicht aussprechen konnte, meist, weil sich die Gelegenheiten dafür nie ergaben. Entweder war ich zu müde, zu gestresst, zu überreizt und/oder der Adressat hat keine Zeit, war in Eile oder das Gespräch hätte bei zu vielen Umgebungsreizen stattfinden müssen. Zu wenig Zeit ist ganz schlecht. Ich brauche etwas Anlaufzeit, um etwas zu erklären, insbesondere, wenn es um nichts Geringeres als meine Zukunft geht. Woher die Angst? Es ist wahrscheinlich eine häufige Angst von Autisten, dann nur über Defizite wahrgenommen zu werden, dass nachfolgend nicht mehr über Stärken gesprochen wird. Diese Angst hemmt, bis sich Konflikte aufschaukeln, was vermeidbar ist, wenn das Verständnis für eine andere Wahrnehmung, eine andere Sicht auf die Welt und Erlebtes vorhanden wäre. Da kann man noch so viel darüber lesen und schreiben und diskutieren – wenn es um einen selbst geht, ist das nochmal ein anderes Kaliber.
Anders ist es, wenn es um nichts geht, wenn ich nur aufkläre, über mich spreche, mit dem Ziel, Vorurteile zu beseitigen, ein paar Wissenslücken zu stopfen. Im vergangenen Jahr durfte ich in der Ö1-Sendung Moment – Leben heute, mit Anna Masoner über meinen Autismus sprechen, dieses Jahr bei der Veranstaltung von Specialisterne Austria und Anecon vor Unternehmern und Journalisten in Wien. Auch für die Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Instituts für berufliche Integration (ibi wien) durfte ich einen Artikel verfassen. Größere Ambitionen, etwa eine Autobiografie, habe ich keine. Der Markt ist gerade gesättigt und ich wüsste nicht, welchen Mehrwert ich den vorhandenen Deutungen und Erklärversuchen von Autismus beisteuern sollte. Dafür bin ich wohl zu sehr Universaldilettant – an allem interessiert, aber zu wenig spezialisiert. Und ich möchte nichts veröffentlichen, über das ich nicht ausgiebig recherchiert habe. Das können andere besser. Nebenbei bin ich hauptberuflich Meteorologe und meine Interessen haben sich dank der Wertschätzung meiner Stärken schwerpunktmäßig nach längerer Durststrecke wieder hin zum Wetter verschoben, wo sie vorher schon lange gewesen sind. Eher schreibe ich mal ein Buch über meine Wanderungen oder ein Fachbüchlein zum Wetter.
Und nicht zuletzt hat auch die Art und Weise, wie Autismus-Aktivismus im deutschsprachigen Raum gelebt wird, dazu beigetragen, mich nicht weiter hineinzusteigern, mich über jeden journalistischen oder politischen Fehltritt zu empören oder unbedingt Lindt zu boykottieren, weil sie – im Unwissen darüber, was sie da eigentlich unterstützen – Autism Speaks fördern. Die Gehirnwäsche von Autism Speaks ist erfolgreich, klappt in den USA besonders gut, und im deutschsprachigen Raum weiß man ohnehin nicht, was Autismus erst mal ist. Ich boykottiere dann, wenn jemand wissentlich für die böse Sache eintritt, so wie damals der Nudel-Barilla-Chef mit homophoben Äußerungen. Erst nach der öffentlichen Entschuldigung habe ich die Barilla-Nudeln wieder gekauft. Besser einen Appell an Lindt, die Kooperation mit AutismSpeaks zu überdenken. [und nein, das ist keine Bevormundung, es sei jedem selbst überlassen, was und wen er aus welchen Gründen boykottiert. Genauso wenig mag ich verheimlichen müssen, dass ich mir gelegentlich mal eine Lindt-Schokolade gönne, weil sie mir schmeckt. Auch Google unterstützt Autism-Speaks, und Google zu meiden ist fast unmöglich. Entweder konsequent sein oder gar nicht.]. Die ganze Entwicklung, u.a. auch das leider spurlos verschwundene Nummermagazin, das frischen Wind ins armeHascherl-Land Österreich brachte, hat mich die letzten Monate sehr frustriert, und zerreißt mein Herz, weil ich einerseits sehr engagiert bin und gerne aufkläre, mich andererseits aber immer dann zurückziehe, wenn zu viel Herdendenken aufkommt. Ich möchte nicht Teil dieser Bewegung sein.
Und dann heißt es nach vorne blicken. Im neuen Jahr habe ich einiges vor mir: Prüfungen, Wohnungssuche, Umzug, neue Umgebung, neue Kollegen, neue Aufgaben. Keine Zeit zum Trübsal blasen, aber auch keine Zeit mich über Dinge aufzuregen, die ich ad hoc nicht ändern kann. Wenn ich herausgefunden habe, wie ich gewisse Herausforderungen bewältigen kann, werde ich sicherlich darüber schreiben. Meine Schreibwut hört gewiss nicht auf.