Im Vakuum: Positiv sein versuchen

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In Österreich sind die Ausgangsbeschränkungen gefallen, die Maskenpflicht und Abstandsregeln geblieben. In Wien heißt das, die Öffis sind wieder voll, Abstand halten schwierig. Für jedes Geschäft gibt es eigene Regeln. Bei manchen muss man vorher anrufen oder einzeln eintreten. Alle wollen, dass man kontaktlos zahlt. Ab Mitte Mai sollen Essenslokale wieder aufsperren. Mit spontanem Essen gehen, gemütlichen Sitzen oder die Ex-Kollegen zur Plauderrunde treffen ist es aber dauerhaft vorbei. Es wird Zeitslots geben, man muss reservieren – telefonisch oder per Mail – maximal vier Personen am Tisch. Und Maske tragen am Weg zur Toilette. Schankbetrieb bleibt auch ausgesetzt, also nur Flaschengetränke. Da kann ich auch daheim bleiben. Wahrscheinlich schaut jeder die anderen Gäste finster an und verzieht das Gesicht, sobald jemand hustet oder laut lacht. Ich vermisse mein Halloumi-Frühstück am Yppenplatz. Dort saß ich gerne eine Stunde, hörte den türkischen Chef fließend zwischen türkisch und deutsch wechseln, abwechselnd charmant zu den Gästen und grob-halbernst zu seinem Personal. Ich hab mir immer eine Zeitung vorher gekauft. Ohne dabei etwas zu lesen kann ich nicht frühstücken. Inzwischen frühstücke ich regelmäßig daheim, aber ohne Halloumi-Spiegelei und den Avocadoaufstrich vermisse ich genauso. Die Standardreaktion ist jetzt vermutlich: Den kannst Du Dir auch selbst machen, ja, aber ich krieg ihn nie so exakt hin wie dort auf der Speisekarte, die richtige Mischung an Zutaten macht es. Davon abgesehen ist es mir zu aufwendig.

Im Februar wollte ich einiges ändern. Das letzte Jahr war nervenaufreibend, dann kam die Kur, mental wie körperlich hilfreich. Ich nahm mir vor, aktiv nach einer Freizeitpartnerin zu suchen. Ich hatte sogar kurz überlegt zu tindern. Der Lockdown war schneller. Durch eine gute Freundin wurde zudem die Lust darauf geweckt, ins Kabarett zu gehen und auf kleine Konzerte. Eine Abwechslung zum daheim herumsitzen. Es soll nicht sein. Ich hatte schon einen langen Blogtext vorbereitet, aber es bringt mich jetzt nicht weiter, über verpasste Gelegenheiten und unerfüllbare Träume zu katastrophieren. Hier möchte ich über das schreiben, was ich habe. Continue reading

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Nur noch Wahnsinn

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Road to hell

Die Coronakrise ist in Wirklichkeit eine Zeitenwende. So weiterwurschteln wie bisher geht nicht mehr. Die verzweifelten Versuche der Regierungen, scheinbar unbegrenzte Finanzspritzen in die untergehende Wirtschaft zu jagen, lassen den fehlenden Realitätssinn erkennen. Es wird nicht mehr so sein wie vorher. Die Globalisierungsblase ist geplatzt. Der schädliche Teil davon zumindest. Ausgelagerte Produktionen, Kosten sparen, so wenig Lohn wie möglich, Gewinne schreiben. Aber das ist ein Blabla für den Wieneralltag-Blog. Mir fehlt gerade das Wir-Gefühl, und zwar ganz massiv. In Deutschland gibt es eine offene gesellschaftliche Debatte über die Lockerung der Maßnahmen. Hart geführt, zweifellos, einige unethische Vorschläge dabei, aber sind meinem Gefühl nach alle einig, dass das kein Alleingang bestimmter Parteien sein darf. In Österreich wird alles von oben herab bestimmt. Keiner darf widersprechen. Erschreckend viele Menschen glauben das alles, was beschlossen wird. Denken, dass es schädlich ist, wenn man rausgeht. Der Ausnahmezustand dauert erst einen Monat. Was wird in einem halben Jahr sein? Man braucht Hoffnung.

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Das neurotypische Virus

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Sozialkontakte reduzieren, Sozialkontakte reduzieren, Sozialkontakte reduzieren. Ja, aber welche Sozialkontakte? Manche Aspekte der Einschränkungen betreffen mich überhaupt nicht. Ich vermisse keine vollgestopften Lokale oder Nachtclubs. Ich ging bisher kaum auf Festivals, selbst das Donauinselfest schreckte mich oft schon von der Musikwahl und der Klientel ab, während ich wenigstens einmal (2004) das Wacken Open Air besuchte – Heavy-Metal-Fans sind grundsätzlich auch gemütlicher und betrinken sich eher mit Bier als mit harten Getränken. Großveranstaltungen meide ich weitgehend. Das typische Wochenendleben hab ich seit der Studienzeit nicht mehr gehabt – ok, schichtdienstbedingt, aber selbst an freien Wochenenden zog es mich immer alleine in die Berge, maximal begleitet von Wanderfreunden, die entweder durch Familienmitglieder oder durch sich selbst Autismus-Bezug haben, man schwimmt auf derselben Wellenlänge, alles durchwegs harmonisch, wohingegen ich mir in größeren Wandergruppen vom Alpenverein immer schwerer tue, wenn etwa meine autistischen Grundbedürfnisse missachtet werden (z.B. Lärmpegel beim Abendessen im Gasthaus, Overloadsituationen, erhöhte Reizbarkeit).

Sozialkontakte einschränken. Undenkbar wäre für mich ein Skiurlaub. Ausgebuchtes Hotel, das Gedränge beim Frühstück, beim Lift, im Skigebiet, die laute Schlagermusik auf der Terrasse. Vielleicht habt ihr die Reportage “Am Schauplatz” im ORF gesehen, das den Skirummel in Ischgl dokumentiert hat. Mein persönlicher Horror – ich ziehe dem jede einsame Schneeschuhtour vor. Meine Sozialkontakte sind außerdem eher anders organisiert als bei neurotypischen Menschen. Mit vielen Bekannten oder (wenigen) Freunden halte ich Kontakt über Whatsapp, Twitter und E-Mail. Alle paar Wochen oder Monate gibt es ein Kneipentreffen, sonst alle paar Wochen eine gemeinsame Wanderung. Dazwischen einzelne Kontakte. Sozialkontakte deutlich reduzieren? Noch weiter? Ich habe keine engen Kontakte mit anderen Menschen, die Familie ist weit weg, die Großeltern bereits gestorben. Die Verwandtschaft biologisch ausgedünnt und nicht am selben Ort meiner Eltern wohnend. Wenn ich Händeschütteln und Umarmungen weglasse, komme ich gar nicht erst in die Verlegenheit eines engen Kontakts. Das ginge höchstens, wenn ich mit Freunden im Lokal gegenüber sitzen würde, oder bei einer Autofahrt (da kann man aber das Fenster öffnen) – beides ist derzeit nicht möglich. Wenn ich den Abstand halte, beträgt meine Transmissionsrate also Null. Sozialkontakte reduzieren, durchhalten, das klingt mehrheitsbezogen so, als ob jeder neurotypische Mensch hunderte Sozialkontakte hätte, ein riesiges Ansteckungspotential, das jetzt im Zaum gehalten werden soll. Continue reading

Veränderungen

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Kraftort Vogelsangberg

Mein tägliches Wien-Tagebuch läuft weiter, dort schreib ich über die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich im Zuge der Pandemie ergeben, und ein bisschen über meine persönlichen Umstände. Mein Autismus tritt scheinbar in den Hintergrund, ist aber natürlich sehr präsent. Ich würde hier gerne Tipps präsentieren, die ich selbst erfolgreich anwende, aber to be honest – ich hab immer noch keine (neuen) Routinen, geschweige denn einen Rhythmus.

Der Leitfaden von Leonard Schilbach ist dennoch empfehlenswert – bitte unbedingt weiterleiten!

Psychisch gesund bleiben während Social Distancing, Quarantäne und Ausgangsbeschränkungen auf Grund des Corona-Virus – Verhaltenstherapeutische Interventionen in einem Kurzprogramm zur Selbstanwendung

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Sars-CoV-2: Gegen die Panik

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Raus aus der Wohnung in die Natur, das lenkt ab und hilft seelisch.

Autisten leiden wesentlich häufiger unter Angsterkrankungen als Nichtautisten. Dazu zählen vor allem auch soziale Phobien, etwa der Aufenthalt gemeinsam mit Menschenmassen, z. B. in Einkaufszentren oder in den Öffis, aber auch in touristisch überlaufenen Innenstädten. Es ist eine Mischung aus “sich exponiert/beobachtet fühlen”, “oft unbegründete Ängste, sich falsch zu verhalten” und “Überflutung durch äußere und mentale Reize”, letzteres die Gedankengrübeleien, die nicht aufhören, etwas ewig durchdenken müssen”. Soziale Phobien hindern uns in Kombination mit der autistischen Erschöpfung oft daran, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Je stärker die Erschöpfung, desto schwieriger fällt es einem, als neurotypisch durchzugehen, die sozialen Gepflogenheiten zu beachten, die von der neurotypischen Norm vorgegeben sind. Abhängig von der kognitiven Intelligenz (Fähigkeit zur Selbstreflexion) bemerkt man dieses Unvermögen und die Ängste und Kreisgedanken verstärken sich, dass das soziale Unvermögen bemerkt und kommentiert wird. Dies als Vorbemerkung und als kleiner Seitenhieb auf das häufig gehörte “wir sind doch alle ein bisschen autistisch, nicht?” Ich bezweifle das persönlich sehr, dass Nichtautisten diese Art von Ängsten regelmäßig haben. Angst ist also ein stetiges Thema bei Autismus und wirkt sich neben chronischem Stress (Reizüberflutung, exekutive Überforderung, etc.) massiv negativ auf das Immunsystem aus.

Die Berichterstattung über das Coronavirus bereitet wahrscheinlich mehr Sorgen und mitunter irrationale Ängste als die reelle Gefahr, sich anzustecken, und auch wie sich das mittelfristig auf unseren Alltag und unsere Pläne/Routinen auswirken wird. Wenn ich mit einem ernsthaften (medizinischen) Problem konfrontiert bin, versuche ich möglichst viel darüber zu lesen, natürlich seriöse Informationen und keine Zeitungsberichte mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitatschnipseln.

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