Wirklich rational erklären kann ich das nicht. Das hängt von der Tagesform und vor allem davon ab, wie viel Energie (“spoons”) ich davor schon verbraten habe. Ich fechte da auch immer wieder Kämpfe mit mir selbst aus: Continue reading
Month: May 2017
Mode versus Funktionalität
Mein Glück ist meine Leidenschaft Wandern. Wenn ich häufig Wanderhosen trage und diverse Funktionsleiberl und Merinofleecejacken, kann man das darauf zurückführen, dass ich meine Freizeit vielfach am Berg verbringe. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Ich vertrage keine Jeans. Zum Einen passt mir nie der Schnitt, wie wir erst neulich herausfanden, als wir nach Stretchhosen für mich suchten. Entweder oben zu eng oder unten zu weit, aber nie passend. Das Problem besteht schon seit der Kindheit. Jedes Jahr oder jedes zweites Jahr zum Hosenkauf hielt ich dann halt die Luft an und stimmte dem Jeanskauf zu, zog sie aber kaum an, weil sie zu eng war. Zum Anderen ist mir der Stoff zu schwer auf der Haut. Ich fühle mich eingeengt, der Jeansstoff juckt wie nach einem Muckenstich und das Sitzen ist damit auch nicht angenehm.* Irgendwann haben meine Eltern akzeptiert, dass ich Cordhosen bevorzuge – oder eben reine Stoffhosen wie Wanderhosen. Auch da gibt es “edlere” Versionen, zu denen Hemden gut passen. Inzwischen achte ich darauf, dass die Farben und Schnitte zusammenpassen.
Das war vor der Diagnose noch lange anders.
In der Schulzeit kleidete ich mich oft atypisch. T-Shirt oder Pulli mit Aufdruck ging gar nicht, vielleicht wollte ich damals auch nicht auffallen. Typisch war damals außerdem eine offen zur Schau getragene Identifikation mit der Lieblingsband. Ich hatte allerdings keine. Ich hörte viel aus vielen Sparten, aber legte mich nicht fest, während “die Punkrocker” nur Punk und nichts anderes hörten, und “die Popper” nur Mainstream-Discomusik hörten und nichts anderes. Ich wollte daher T-Shirts und Pullis explizit ohne irgendeinen Aufdruck, sprich einfarbig langweilig.
Als ich während dem Studium für eine gewisse Zeit mal so etwas wie eine Freundin hatte, die regelmäßig mein Aussehen kritisierte – im Nachhinein zurecht -, wollte ich lange Zeit nicht wahrhaben, dass das, was ich trug, überhaupt nicht zusammenpasste. Ich wollte es bequem haben, funktional, der Rest war mir egal bzw. bemerkte ich gar nicht die Blicke aufgrund unpassender Kleidung. Vom 15. bis zum 26. Lebensjahr trug ich lange Haare, danach brachte sie mich zu einer neuen Frisur, die ich sehr widerwillig akzeptierte. Sie regte sich danach heftig auf, wie ich nur so negativ auf die Veränderung reagieren könne. Schon damals tat ich mir schwer mit Veränderungen, wusste aber nicht warum. Später, bei einem anderen Anlassfall, fiel ich wieder einmal wie der schillernder Vogel mit einer unmöglichen Kombination an Schuhen und Kleidung auf, aber dieses Mal bemerkte ich meinen Fauxpas und achtete fortan besser darauf.
Heute ziehe ich Wanderhosen allgemein vor, sie trocknen zudem nach Regen besser und kleben nicht so auf der Haut. Die Anzahl meiner Schuhe hat sich außerdem vervielfacht, was mit der Art der Wanderungen zusammenhängt, die ich unternehme (weglos, Schotterwege, Waldwege, alpine Steige, längere Asphaltstrecken). Ebenso hat sich die Zahl der Jacken vervielfacht, weil man bei Schneeschuhwanderungen und längeren Regenwanderungen wieder umdenken muss. Mir sagen noch heute die meisten allgemeinen Modemarken nichts, dafür kenne ich jene in der Sportwelt umso besser und weiß genau, welcher Stoff was taugt und welcher nicht. Zum Glück befinden sich unter Wanderkleidung auch bürotaugliches Schuhwerk, Hosen und Hemden. Bequem steht weiterhin ganz oben.
*Ein Merkmal von Autismus ist Hyper- oder Hyposensorik, dazu zählen auch taktile Reize wie Druck/Enge, kratzender Stoff oder Allergien auf bestimmte Inhaltsstoffe, darunter auch Parfum oder Öle.
Wie offen ist offen?
Es war und ist eine schwierige Abwägung, wie offen ich mit meiner Diagnose umgehen kann und darf.
Aus persönlicher Sicht ist es sicherlich ungeschickt. Autismus, Asperger und überhaupt alles, was einen psychiatrischen Hintergrund hat, ist gesellschaftlich stigmatisiert. Viele Menschen wissen sehr wenig oder gar nichts darüber. Selbst im Psychologie-Studium ist Autismus höchstens eine Randnotiz. Das ist schade. Der namensgebende Hans Asperger war ein Österreicher. Seinem engagierten und teilweise riskanten Verdiensten ist es zu verdanken, dass zahlreiche Kinder mit Autismus-Diagnose vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten gerettet wurden.
Eine Diagnose wird anhand von Defiziten und Schwierigkeiten gestellt, andernfalls besteht kein Grund, eine Diagnostik zu machen. Autismus ist keine Diagnose, mit der man sich schmücken kann und die eine Übervorteilung gegenüber Nichtautisten bringt. In vielen Fällen ist es leider eine Ausschlussdiagnose, nämlich ein Ausschluss davon, zeigen zu können, dass man als diagnostizierter Mensch nicht nur aus Defiziten und Schwierigkeiten besteht. Stärkenorientiertes Denken ist nicht nur bei Autisten wichtig, es wäre für die Gesellschaft insgesamt eine Bereicherung, nicht nur auf die Herkunft zu schauen.
Mein offener Umgang damit ist jedoch die logische Folge dieses Missstands, dass immer noch sehr wenig über Autismus bekannt ist, dass viele Menschen Autismus nur durch Rain Man kennen, und dass die große Bandbreite des Autismus-Spektrums nicht durch die mediale Berichterstattung abgedeckt wird. Ich bin der Überzeugung, dass ein Verstecken nicht dazu führen wird, dass mehr über Autismus bekannt wird, und dass es auch anderen Betroffen nicht helfen wird, sich gegenüber Vorurteilen behaupten zu können. Es ist dem eigenen Energiehaushalt nicht zuträglich, ständig darüber nachzudenken, wie man Symptome maskieren kann. Macken hat schließlich jeder.
Ich glaube, dass wir in der gerade sich rapide veränderten Arbeitswelt darauf schauen müssen, dass Menschen wie wir nicht den Anschluss verlieren. Wer in der IT und technischem Umfeld arbeitet, hat sicherlich das goldene Los gezogen. Das gilt für Autisten und Nichtautisten gleichermaßen. Technologie ist die Zukunft, während alles, was mit Schreiben zu tun hat, an Bedeutung verliert – beginnend damit, dass die Schreibschrift immer weniger unterrichtet wird und kulminierend darin, dass Print durch Online ersetzt wird, was allerdings kein adäquater Ersatz ist, wie man an diversen Online-Medien-Schnellschüssen merken kann. Für nicht technikaffine Menschen wird es immer schwieriger noch eine Arbeit zu finden, wo man sich geistig austoben kann, und wo man nicht wegrationalisiert wird. Die wenigsten Menschen können sich Jobs frei aussuchen, noch viel weniger können ihr Hobby zum Beruf machen. Mein Wetterinteresse war schon seit der frühen Kindheit da (danke an die Kärntner Pension, in die der Blitz einschlug), es war wohl so vorherbestimmt, an allen Hürden und Barrieren vorbei.
Ich habe mich für den Weg entschieden, anderen Betroffenen Mut zu machen und durch meine Schilderungen einen Wiedererkennungswert zu liefern – so wie mir die Schilderungen von anderen Bloggern und Autoren geholfen haben, mich selbst zu finden und zahlreiche Aha-Erlebnisse ausgelöst haben. Nichtsdestotrotz geschieht all das nicht uneigennützig, da ich meine Erfahrungen durch das Schreiben selbst verarbeiten kann.
Buch über Autisten im Beruf übersetzt und Neuigkeiten zum Geschlechterverhältnis bei Autisten
Die erste gute Neuigkeit ist schon ein wenig älter, komme aber erst jetzt dazu, darüber zu berichten:
Das Buch der Autistin Rudy Simone ist in meinen Augen DAS Standardwerk für Asperger-Autisten, Kollegen (von Autisten) und Arbeitgeber. Es wurde nun vom Autismus-Verlag übersetzt. Weshalb ich das Buch so wertvoll halte? Für mich persönlich war es ein echter Augenöffner. Ich las es erstmals, als ich noch den Verdacht hatte, Asperger zu sein (Frühjahr 2014) und bis auf ein paar durchaus eindeutige Internet-Selbsttests wenig Handfestes gelesen hatte. Die Aha-Erlebnisse bei der Lektüre waren regelrecht ein Schock! Ich erkannte mich in so vielen Situationen wieder, das konnte ich mir gar nicht alles einbilden! Auszüge aus ihrem Buch habe ich in Teil II und Teil III meiner dreiteiligen Serie über Autismus im Beruf übersetzt (außerdem: Teil I ).
Die zweite Neuigkeit bestätigt meinen subjektiven Eindruck, dass Autismus bei Mädchen und Frauen viel häufiger ist als in den derzeitigen Statistiken widerspiegelt wurde. Vergesst bitte die Theorie des extrem männlichen Gehirns von Baron-Cohen. Es suggeriert außerdem, dass Autisten weniger Empathie hätten, während nach Dziobek et al. (2008= die emotionale Empathie (Mitgefühl) bei Autisten sogar stärker ausgeprägt ist.
- 2. In diesem Spektrum-Artikel wurde das Geschlechterverhältnis bei Autisten nun von 4:1 auf 3:1 reduziert.
Die Professorin für kognitive Neurowissenschaften am King’s College in London, Francesca Happé, sagt dazu: “Es gibt uns bis heute die stärkste empirische Grundlage, welche die Idee unterstützt, dass Autismus bei Mädchen wahrscheinlich unterdiagnostiziert wird. Das sind wirklich große Neuigkeiten.” Zumal die derzeitigen Theorien zur Ursachenentstehung bei Autismus auf der Annahme basieren, dass Männer anfälliger sein als Frauen. Autismus bei Mädchen wird eher übersehen, weil Ärzte und andere denken, es beträfe vorwiegend Buben. Mädchen maskieren ihre autistischen Eigenschaften zudem besser [Anmerkung: Und erhalten dann eher eine Borderline- oder ADHS-Diagnose]. Die Analyse zeigte außerdem eine gleichmäßigere Verteilung von Buben und Mädchen (3.1:1) bei Studien mit hohem Anteil an Kindern mit geistiger Behinderung. Die Fähigkeit von Mädchen, ihren Autismus zu überspielen, hängt mitunter von ihrer Intelligenz ab oder sie werden stärker beeinträchtigt als Buben.
Manche Forscher sind der Meinung, dass das Verhältnis insgesamt sogar unter 3:1 liegen könnte, weil Autismus-Tests vorrangig für typische Eigenschaften bei Buben entwickelt wurden. “Weil die Forschung und klinische Erfahrung mehrheitlich Buben umfasst, sind unsere Diagnosekriterien beinahe mit Gewissheit zugunsten von Männern verschoben”, sagt Happé.
Auch eine weibliche Form von Autismus ist denkbar, da Mädchen eher zu subtilen eingeschränkten Interessen und weniger repetitives Verhalten als Buben neigen. Doch die Diagnosekriterien zu ändern, um mehr Frauen mit autismusähnlichen Eigenschaften zu diagnostizieren ist keine leichte Aufgabe, weil dadurch Autismus selbst anders definiert werden müsste.
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