Heute kam das Buch von Ina Blodig: “Hochfunktionale Autisten im Beruf”, das ich zum 22.1. vorbestellt hatte (Neuerscheinung!). Ich habe es weitgehend durchgelesen.
Schöner, strukturierter Aufbau, zu Beginn steht das Thema Offenlegung der Diagnose im Vordergrund, wobei man nicht erwarten darf, dass hier eine allgemein gültige Antwort gegeben wird. Ein Restrisiko bleibt immer, aber eine selektive Offenheit hat sich als guter Kompromiss erwiesen, d.h. Stärken/Schwächen äußern, ohne das Kind beim Namen zu nennen (RW).
Auch ein nachträgliches Coming Out ist denkbar, etwa wenn sich Verstimmungen oder Missverständnisse mit Kollegen/Vorgesetzten anbahnen. Dann kann man seine ”Eigenheiten” erläutern, die von anderen beobachtet werden, und dann erklären, warum man das macht.
Außerhalb des deutschsprachigen Raums wird zudem viel mehr auch über Autisten abseits des IT-Bereichs berichtet, hierzulande ist weitgehend unbekannt, dass Autisten auch eine große soziale Kompetenz aufweisen können und soziale Berufe daher nicht ausgeschlossen sind.
Ein Autist wird dediziert positiv hervorgehoben, der sich bewusst für die Offenheit im Bewerbungsverfahren entschied:
“Aufgrund meiner Asperger-Persönlichkeit verfüge ich über [Stärken]…. Hierbei handelt es sich um eine angeborene, von der Mehrheit abweichende Wahrnehmung. Klare Zielsetzung und ruhige Arbeitsumgebung tragen zu besonders guter Arbeitsqualität bei.”
Essentielle, förderliche Rahmenbedingungen identifiziert Blodig nach einer Studie aus Köln:
1. eindeutige, zielgerichtete Kommunikation
2. fester Ansprechpartner
3. konstruktiver Austausch mit Vorgesetzten
4. Rückzugsmöglichkeiten für Pausen
5. Einfluss auf Umgebungsreize
Schön fand ich, dass unter dem Subkapitel Spezialinteressen auch die Meteorologie erwähnt wurde “andere führen Tabellen oder Listen, beispielsweise über Wetterphänomene […]”. Wer ein wenig nach Autismus und Wetter/Meteorologie googelt, wird auf etliche Ergebnisse stoßen. Doch wie viele Autisten dieses Spezialinteresse zum Beruf gemacht haben, bleibt bis heute unklar. Ich kenne keinen geouteten Meteorologen-Autisten.
Sehr wichtig fand ich die Erwähnung dass das Klischee der monotonen Routinetätigkeiten als ideales Betätigungsfeld für Autisten problematisch sei:
Einerseits geben Routinen Verlässlichkeit und werden als angenehm und stabilisierend empfunden, andererseits wünschen sich Autisten auch inhaltliche Anregung und geplante Abwechslung.
Besonders positiv hervorheben möchte ich noch, dass sie Autisten als Experten zu Wort kommen lässt (wie auch bei Rudy Simone).
Was in meinen Augen etwas ausführlicher hätte besprochen werden können: Vor- und Nachteile des nachträglichen Coming Outs sowie Umgang mit Mobbing, speziell wenn es keinen Betriebsrat und keinen Schwerbehindertenvertreter gibt.
Sonst ist es ein gutes Nachschlagewerk, was unausgesprochene Regeln, Teamarbeit, Konfliktmanagement, etc. betrifft. Bisweilen ist es mir etwas zu viel Text, die ein oder andere Leerzeile mehr hätte der Übersichtlichkeit gut getan.
Ich sehe beide Bücher – von Ina Blodig und Rudy Simone’s Asperger’s on the Job als gute gegenseitige Ergänzung. Etwas kompakter ist letztgenanntes, das zudem Arbeitgeber direkt anspricht und in verhältnismäßig einfachem Englisch geschrieben ist, sodass die englische Sprache hier keine große Barriere darstellen dürfte.
You must be logged in to post a comment.