Missverständnisse

Im zwischenmenschlichen Kontakt spüre ich Autismus am häufigsten durch Missverständnisse. Das klassische Unausgesprochene, zwischen den Zeilen lesen, das Vorausgesetzte, weil Neurotyische das schon immer erfassen konnten.

Die äußeren Umstände sind entscheidend, also Tagesverfassung, Reize in der Umgebung, Schlafqualität in der Nacht davor, Stress, geistige TodoListen, die ständig durch den Kopf schwirren.

Und dann passiert mal sowas wie gestern, als ich eine Absicht hatte, und dann unerwartet eine dritte Person die Handlung beeinflusst, was mich so irritiert, dass ich die üblichen sozialen Gepflogenheiten nicht mehr einhalte. Tunnelblick, geradeaus. Die Reflexion kommt zu spät. Die Kritik folgt auf dem Fuß, deutet die Absicht um. Und so nimmt das Missverständnis seinen Lauf, entwickelt ein falsches Narrativ, das mich ganz schlecht dastehen lässt.

Und so war es in der Vergangenheit leider oft. Richtige Absicht, ins Gegenteil interpretiert. Weil die Situation schiefgeht, weil ich mich zweideutig ausdrücke, weil ich von Neurotyischen betrachtet sonderbar agiere.

Und das ist so mühsam, wieder richtig zu stellen. Es fällt mir nicht schwer, mich zu entschuldigen, wenn ich Fehler gemacht habe, aber so zu argumentieren, dass ich aus dem Missverständnis komme. Ich tue nichts aus Boshaftigkeit, maximal Tollpatschigkeit. Fettnäpfchen treten, da bin ich Meister. Dummerweise hab ich ein hervorragendes Langzeitgedächtnis, was Fettnäpfchen betrifft.

Deswegen sind klare Anweisungen und Bedürfnisäußerungen so wichtig. Leider ist es in unserer Gesellschaft von 2018 immer noch leichter, mitfühlend eine schwere Krebserkrankung zu thematisieren als über seinen Autismus zu sprechen. Ein Manko, was erwachsene Autisten stark betrifft, denn man sieht den Autismus nicht an. In den Augen Neurotyischer verhält er sich in vielen Bereichen wie alle anderen und so herrscht dann die Erwartungshaltung, dass es in der Kommunikation und Interaktion genauso ist. Doch das ist ein Trugschluss, gerade da kompensieren Autisten viel und erscheinen meist normal. Unter den oben geschilderten Einflüssen, gerade wenn sie längere Zeit anhalten, fällt die Maske plötzlich und die Hauptsymptome von Autismus werden sichtbar.

Es ist nachvollziehbar, dass das überrascht, aber gerade im geouteten Zustand darf man ruhig mal eins und eins zusammenzählen. Das wäre quasi mein Wunsch und Appell an die nichtautistischen Mitmenschen, etwas unmittelbar aufzuklären, Kontext zu Autismus, wenn etwas völlig aus der Reihe fällt.

Nichtautisten ahnen nicht, wieviel Energie es kostet, sich darum den Kopf zu zerbrechen, Energie, die für den Alltag und die eigentliche Aufgabe dann fehlt. Das führt dann dazu, dass der Autist als nicht stressresistent gilt. Dabei ist nicht die Aufgabe das Problem, sondern das drum herum, das nicht auf dem Papier steht.

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Strategien gegen den Stress gesucht

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Genuss wird schnell bestraft

Stress schlägt mir auf den Magen. Ich vermute inzwischen eine Histaminunverträglichkeit, die sich aufgrunddessen in den vergangenen zwei Jahren entwickelt hat. Sie wird rasch besser, wenn ich abschalten oder mich bewegen kann, also in vor allem auf meinen Tagestouren oder in meinen Wanderurlauben. In längeren Phasen, wo ich nicht auf meine Entspannungsroutinen zurückgreifen kann, verschlimmern sich die Beschwerden. Zu laut darf man das nicht dem Stress natürlich nicht sagen, weil hohe Belastbarkeit für jede Arbeit Voraussetzung ist. Wobei mir die Arbeit momentan an sich auch keinen Stress macht, dafür hat sich zum Glück genügend Routine eingestellt. Viel stressiger ist hingegen der Alltag.

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Ruhe in Frieden, Papiernote.

Die @papiernote war eine junge Autistin und Lehrerin, ein Kämpferherz. Ich habe sie nie persönlich getroffen. Wir sind jahrelang einander auf Twitter gefolgt. Ich habe sie schätzen gelernt. Sie brachte viele, gute Ideen, zeigte ihr Herz für ihre Schüler_innen. Sie engagierte sich trotz schwerer Krankheit für Flüchtlinge, als die Not danach verlangte. In den letzten Monaten sind ihre Tweets leider seltener geworden. Sie hat viel gekämpft. Sie hat letzendlich verloren. Es ist schwer in Worte zu fassen. Ich trauere mit den Hinterbliebenen, mit den engen Freund_innen und Bekannten, die sie auch persönlich kannten.

Es ist immer seltsam, wenn virtuelle Bekannte sterben. 2014 beging mein Wettermentor, den ich auch persönlich kannte, Suizid. Zerbrochen am Leben, an den Höhen und Tiefen. Es war eine schwierige Zeit danach. In den Jahren danach erlebte man auf Twitter hautnah, wie Menschen dem Krebsleiden erlagen. Der Kampf, die Qualen, die Hoffnung, der Rückfäll und der schnelle Tod. Entfernte Bekannte, aber ein seltsames Gefühl, wenn die Twitterkonten bleiben, aber keiner mehr antwortet. Nie mehr antworten wird.

So ist es jetzt auch. Und selbst wenn ich sie nie persönlich traf, war da doch mehr als nur ein entfernter virtueller Kontakt. Wir haben Gemeinsamkeiten gesucht und gefunden, der Autismus als verbindendes Element. Das Thema Tod und danach ist schwierig. Ich bin kein Atheist, aber auch nicht gläubig. Irgendwo dazwischen. Aber es ist auch schwer vorstellbar, dass nicht irgend etwas weiterexistieren wird. Ich wünsche es mir für sie.