Ein Autist geht wandern

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Links Mutspitze, mittig Kesselwandferner, rechts Anstieg zu den Guslarspitzen

Eine Woche Bergwandern in den Ötztaler Alpen mit vier Dreitausendern hat gut getan. Trotz großer Gruppe, aber bekannte Gesichter, einfühlsame Guides. Die Hüttenabende sind für mich immer die größte Herausforderung. Ausgebuchte Hütten mit 80 bis 120 Leuten. Laute Gaststuben, sich räumlich zurechtfinden, checken, wie die Duschen funktionieren (Münzeinwurf), keine Privatsphäre in den Zimmern und Lagern. Manchmal war auch die eigene Gruppe laut, alle redeten durcheinander, ich konnte mich akustisch nicht mehr auf mein Gegenüber konzentrieren. In solchen Momenten stand ich einfach auf und ging nach draußen, mit der dünnen Fleecejacke bekleidet, setzte mich auf die Terrasse und schaute in die Ferne. Da war es auszuhalten.

Ich kann verstehen, dass solche Gruppentouren und Hüttenübernachtungen viele Autisten abschreckt. Sie sind quasi der Inbegriff fehlender Distanz zu Mitmenschen und olfaktorisch und akustisch eine Herausforderung. Ich kann mir nicht vorstellen, meinen Urlaub ausschließlich mit Gruppen zu verbringen. Es ist auch jedes Mal höchst fordernd, die richtigen Gesprächsthemen mit neuen Teilnehmern zu finden, die richtigen Worte zu treffen, nicht in Fettnäpfchen zu treten, sich immer so zu verhalten, wie es die anderen erwarten. Das ist durchaus schwierig, speziell, wenn man sich nicht outet und auch keinen Rahmen findet, das zu tun. Dieses Mal ging es ungeoutet. Ein paar Worte verlieren darüber werde ich höchstens (wieder) am Ende meines großen Wanderberichts. Denn die Nichtselbstverständlichkeit zu artikulieren, an solchen Mehrtageshüttentouren teilzunehmen ist mir schon ein Anliegen. Das alleine ist schon ein Verdienst, auf den ich stolz bin – worüber andere nicht einmal nachdenken. Es heißt aber auch, dass es manchmal Energieverluste gibt, wenn es eben so laut ist, und ich keinen geraden Satz mehr herausbringe, weil die ganze Konzentration darauf gerichtet ist, den Lärm und Trubel irgendwie auszuhalten. Dann reagiere ich manchmal auch verzweifelt. Etwa, als ich mich schon im Zimmer eingerichtet hatte, und dann eine andere Verteilung beschlossen wurde und ich beinahe im Hochbett hätte schlafen müssen, wo ich immer Panik habe, im Schlaf herunterzufallen. Ebenso wie das Barfußsteigen auf der Holzleiter immer schmerzt, weil meine Fußmuskulatur völlig unterentwickelt ist. Oder als jemand meine Hüttenschuhe im Schuhraum genommen hatte, als wir von der Hütte weg noch eine schnelle Tour gemacht haben. Erst war ich mir nicht mal sicher, wie sie genau aussahen. Dann entdeckte ich sie schon nach 15min an einem Hüttengast, traute mich aber nicht, ihn anzusprechen, während für die anderen sonnenklar war, dass ich doch schauen sollte, wer sie hat und sie dann direkt zurückfordere. Ich wartete stattdessen bis zum nächsten Morgen, bis sie wieder dort standen, wo sie gefladert wurden. Einmal fühlte ich mich auch so bei der Ankunft auf einer laut wuseligen Hütte mit Bahnhofsatmosphäre überfordert, dass ich nahe an einer Panikattacke war. Dazu mussten wir in einem großen Lager übernachten, ohne Platz sich mit dem Rucksack und Ausrüstung auszubreiten. Alles lag durcheinander, nebeneinander. Und ich weiß, wie schnell ich Gegenstände verlege und verliere, wenn ich die Übersicht verliere. Dann wollte die junge Helferin an der Kasse, dass man am besten sofort alles bestellt und bezahlt, aber so schnell konnte ich mich nicht entscheiden, ich fühlte mich unter Druck gesetzt.

Es gab einige Momente, wo ich den Autismus sehr stark spürte, aber glücklicherweise fühlte ich mich die meiste Zeit in meinem Element, wie ein Fisch im Wasser. Deswegen habe ich auch die Teilnahme nicht bereut. Ich konnte mich zurückziehen, so wie andere früh schlafen gingen oder nur zuhörten und selten an den Gesprächen teilnahmen. Das Schlafen klappte nicht wirklich gut wegen meiner extremen Geräuschempfindlichkeit. Die Schnarcher schlafen leider immer zuerst, und dann hatte ich trotz Ohrnstöpsel große Mühe, auch einzuschlafen. Der lauteste Schnarcher nahm sogar Rücksicht und versuchte zu warten, bis ich einschlief, aber “du brauchst ja so lange, bis Du einschläfst!” Hier sollte ich künftig daran denken, Einschlafmittel zu nehmen, um die Geräuschempfindlichkeit auszutricksen. Denn tagelang zu wenig Schlaf ist nicht gerade förderlich, wenn man stundenlang konzentriert gehen muss.

In any case, es war schön.

 

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