Telefonitis nimmt gerade Überhand

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Zum Thema Multitasking und Telefonate hab ich mich bereits ausgelassen. Mir ist neulich dann aus anderen Gründen wieder einmal der Kragen geplatzt und ich habe eine E-Mail abgeschickt, die ich mir sonst verkneifen würde, denn ich habe mich geoutet, ohne Not eigentlich. Worum geht’s? Wir leben im digitalen Zeitalter und oft sind Telefonate alternativlos, was nicht sein müsste. Es geht um meine Bedürfnisse, es geht um meinen Willen, an der Gesellschaft teilzunehmen und damit geht es letzendlich um Inklusion.

Der Unterschied zwischen Telefonieren und Telefonieren

In meinem jetzigen Job sind Telefonate nicht wegzudenken. Das ist nach fast einem Jahr Praxiserfahrung für mich derzeit in Ordnung. Früher hab ich in einer Firma gearbeitet, wo nicht nur fachbezogene Anrufe in unserem Büro gelandet sind, sondern auch allgemeine Anrufe, die eher die Verwaltung und fachfremde Abteilungen betreffen. Das war für mich eine echte Herausforderung, vor allem, wenn es notorische Probleme mit Weiterleiten, Anruf halten, wieder zurücknehmen, etc. gibt. Das ist jetzt zum Glück anders. Es handelt sich durchwegs um fachbezogene Anrufe, auf die ich mich vorbereiten kann. Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich …dann kann ich darum bitten, später zurückzurufen, bis ich die Info herausgesucht habe. Ich kann Anrufe unter Umständen auch ignorieren unter Berücksichtigung einer sogenannten Prioritätenliste. Das sollte nicht allzu oft vorkommen, ist aber erlaubt.

Wenn jetzt aber jemand während der Arbeitszeit anruft, dann geschieht das in der Regel unerwartet. Ich werde nie freiwillig jemanden darum bitten, dies zu tun. Denn während der Arbeit ertönen ununterbrochen akustische Alarme, die erhöhte Aufmerksamkeit verlangen. Zudem kann jederzeit ein fachbezogener Anruf kommen, der vor privaten Anrufen natürlich Priorität hat. Es kann aber auch mehreres gleichzeitig passieren, was Handlungsbedarf von meiner Seite bedeutet. Mit anderen Worten: Es ist extrem ungünstig, wenn ich während der Arbeit telefonieren muss. Dann spielt es auch gar keine Rolle, ob ein bekannter oder ein unbekannter Mensch anruft.

Rückrufe und fehlende Zeitfenster

Umgekehrt fällt es mir schwer abzuwägen, wann ich jemanden anders anrufen kann, solange dieser kein Zeitfenster nennt.

  • “Wer noch nicht bei … dabei war, möge mich bitte vorher anrufen.”
  • “Sie können mich gerne auch telefonisch kontaktieren.”

Idealerweise steht ein Zeitraum dabei, in dem ich anrufen kann, denn so rufe ich (und ich rufe sowieso nicht an) mit dem unguten Gefühl, gerade zu stören an, und das Gespräch wird dann kurz angebunden, ich kann nicht alle Fragen stellen, die ich stellen wollte, ich vergesse etwas oder derjenige ist gerade unterwegs und die Hintergrundgeräusche übertönen das Gespräch oder der Empfang ist sehr schlecht. Vor allem letzteres macht mich äußerst unrund, wenn ich akustisch nichts verstehe.

Wenn ich unterwegs angerufen werde, bin ich oft durch Verkehrslärm, Menschenmengen, Einkaufsgedudel und andere Geräuschquellen abgelenkt und muss hochgradig Konzentration aufwenden, um akustisch alles zu verstehen. Wenn das im Beisein von Menschen passiert, fallen meine Fragen und Antworten kürzer aus als sonst, speziell wenn diese Menschen gleichzeitig Gespräche führen müssen.

Halten wir fest: Es ist äußerst ungünstig, mich anzurufen, wenn ich außer Haus und wenn ich auf Arbeit bin. Da ich im Schichtdienst arbeite, kann niemand wissen, wann ich zuhause bin. Nicht immer liegt mein Handy dann außerdem griffbereit. Denn nach einem telefonierreichen Arbeitstag lege ich mein Handy meistens in einen anderen Raum und vergesse dann, dass es dort liegt. Ich höre Musik, schaue fern, der Wasserkocher zischt, die Wasch- und Spülmaschine läuft. Man müsste sich also eine Uhrzeit ausmachen bzw. vorher SMS schicken, das wäre die sicherste Variante, mich zu erreichen.

Die E-Mail hat dagegen unschlagbare Vorteile für mich: Sie kompensiert mein schlechtes Kurzzeitgedächtnis, durch das ich Gesprächsinhalte rasch wieder vergesse, speziell eben dann, wenn zusätzliche Reizüberflutung eintritt oder gerade Multitasking verlangt wird. Eine E-Mail kann ich bei Bedarf nachlesen und in Ruhe beantworten. Dank Smartphone entgehen mir E-Mails nicht und ich kann auch am Handy eine (kurze) Antwort tippen. Eine E-Mail kostet mich wenig Überwindung und ist die zuverlässigere Möglichkeit, mit mir in Kontakt zu treten oder eine Antwort zu erhalten.

Inzwischen habe ich eine Hausarzt(gruppen)praxis gefunden, bei der Online-Terminvereinbarung ausdrücklich erwünscht ist, das gleiche gilt für eine spezielle Zahnarztklinik. Das sind bisher die großen Ausnahmen. Ich verstehe gerade bei Ärzten, dass der administrative Aufwand erheblich ist und alleine nicht getragen werden kann.

Das Gleiche betrifft den Alpenverein in Salzburg, der mir den Verwaltungsaufwand als Begründung dafür nennt, dass sämtliche ausgeschriebenen Touren im Netz (und übrigens auch in den Vereinsheften) nur eine Kontaktmöglichkeit über Telefon aufweisen. Das kostet mich aus den oben genannten Gründen eine riesige Überwindung, “einfach dort anzurufen”, obwohl es die “schnellste und effizienteste” Weise sei, Informationen auszutauschen. Ich entgegnete folgendes per E-Mail:

Für Menschen mit kommunikativen Schwierigkeiten oder Hemmungen ist ein Telefonanruf (aktiv wie passiv) jedoch immer eine höhere Hemmschwelle als die notwendigen Informationen bereits auf der Website lesen oder per E-Mail erfragen zu können. Das betrifft etwa Hörgeschädigte, aber auch Autisten. Ich bin selber einer, auch wenn ich nicht dem Klischeebild entspreche und durchaus Interesse habe, mit einer (kleinen) Wandergruppe unterwegs zu sein. Es ist auch ein Angebot ganz im Sinne der Inklusion, wenn es zumindest sowohl telefonische als auch schriftliche Kontaktdaten gibt, und wenn zu den Touren etwas ausführlicher bzw. aussagekräftig steht, was angedacht ist und wie man sich Mitfahrgelegenheiten organisieren kann. Ein inklusiver Ansatz ist ja bereits, dass Sie dafür keine zusätzlichen Gebühren verlangen. Nicht zuletzt ist es leichter, ohne Zeitdruck auf E-Mails zu reagieren und nicht von einem Rückruf in der Arbeit oder unterwegs gestört zu werden. Das betrifft übrigens nicht nur den Alpenverein, sondern ganz allgemein auch Behörden, Ärzte, Geschäfte, etc.

Was bei Freizeitaktivitäten frustrierend ist, kann bei gesundheitlichen Bedürfnissen durchaus gefährlich sein, wenn es derartige Barrieren gibt. Ich schiebe seit einem Jahr zahlreiche Arztbesuche hinaus, weil ich bis auf die zufällig entdeckte Gruppenpraxis ausschließlich nur Ärzte fand, die gar keine Website hatten oder wo man anrufen musste. Gerade bei Kassenärzten ist das knappe Zeitfenster, um seine Beschwerden zu erklären, sehr belastend, weil gerade das Autisten selten gut gelingt und die Gefahr von Missverständnissen und Missinterpretationen groß ist. In einer E-Mail kann man vorab mitteilen, dass man Autist ist und Zeit benötigt oder schon etwas ausführlicher erklären, wo das Problem ist.

Ich möchte das Ganze nicht noch weiter aufdröseln, sondern auf einen gemeinsamen Nenner bringen: E-Mail zusätzlich zum telefonischen Kontakt anbieten, danke!

4 thoughts on “Telefonitis nimmt gerade Überhand

  1. phobine 25. February 2018 / 13:03

    Vor allem bei Ärzten empfinde ich diese unnötigen Barrieren auch als sehr kontraproduktiv und ärgerlich. Sollte nicht gerade das Gesundheitswesen Verständnis aufbringen und mit gutem Beispiel vorangehen? Für eine gute Arzt-Patienten-Beziehung ist das bisherige Angebot leider nicht förderlich. Mir geht es auch so, dass ich Termine aufgrund der telefonischen Terminvereinbarung extrem lange hinausschiebe. Wenn möglich, mache ich beim Arztbesuch schon gleich den nächsten Termin, i. d. R. Monate früher. So komme ich wenigstens um das nervige Telefonieren herum.

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  2. SWB 26. February 2018 / 15:57

    Deinem Beitrag kann ich nur vorbehaltlos zustimmen, ganz besonders dem Absatz mit den unschlagbaren Vorteilen einer E-Mail. Ich vermeide Telefonate, wo immer es geht.

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  3. autistanbord 26. February 2018 / 19:18

    Magst du tauschen? Bei mir ist es so, dass ich mich im Moment immer wieder ärgere, weil die Option des telefonischen Kontakts wegfällt. Für mich ist es viel schlimmer, eine Email oder SMS geschickt zu haben, und auf die Antwort warten zu müssen – dieser Leerlauf macht mich wahnsinnig. Ich möchte Dinge bitte sofort klären…

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