Twitterpause

Seit 9 Tagen bin ich von Twitter weg. So lang dauerte seit meiner Anmeldung im November 2013 noch keine Pause. Trotzige Entzugsversuche endeten oft halbherzig nach ein oder zwei Tagen mit der Wiederanmeldung. Dieses Mal blieb ich standhaft, der Kuraufenthalt hilft naturgemäß mit. Grund für die Auszeit war dreierlei. Der zu dem Zeitpunkt sehr akute Freundschaftskummer, das Mobbing durch eine Gruppe von Autisten, wodurch es doppelt schwer ist, wenn man von einer Gruppe gemobbt wird, die die gleiche Diagnose hat und man eigentlich zusammenhalten sollte, gerade auch im Bewusstsein, dass neun von zehn Autisten selbst Mobbing und Traumata erlebt haben. Und drittens wollte ich während der Kur nichts mitbekommen von der Außenwelt, von politischen Kleinkriegen der neuen Regierung in Österreich, von den ewigen Empörungswellen, der täglichen Sau, die durch das Twitterdorf getrieben wird. Trump hier, Brexit dort, ich kann es nicht mehr lesen. Ich hab mich vor Jahren bewusst gegen einen Fernseher zuhause und gegen Ö3 entschieden und dann erhält man täglich mit zigfachen Retweets genau die Themen in die Timeline gespült, denen man aus dem Weg gehen wollte. Ganz auskommen tu ich auf der Kur auch nicht. In fast jedem Raum wird nerviges Radio mit Werbung gespielt. Dauerberieselung, der ich nur auf dem Zimmer, beim Schwimmen oder draußen entkomme.

Wenn es nach meinen Plänen geht, dauert die Pause noch bis zur letzten Kurwoche. Ich vermisse gelegentlich den Publikumsjoker, wenn ich technische Probleme mit dem Handy oder Tablet habe. Da bekam man auf Twitter oft gute Antworten speziell von Followern, die einen kennen und einen nicht mit Fachchinesisch erschlagen, bzw wo man auch nachfragen kann. Natürlich sind mir auch zahlreiche Follower ans Herz gewachsen, von denen ich jetzt nichts mehr mitbekomme. Vorher war es so selbstverständlich, täglich zu erfahren, was jemand macht und wie es einem geht. Oft liest man die Stimmungslage aus den Tweets ab, auch wenn zurecht einmal bemerkt wurde, dass ein Retweet nicht zwingend die aktuelle Stimmungslage wiedergeben muss. Vorsicht vor Überinterpretation. Ein bisschen unangenehm ist es mir außerdem, z. B. auf WhatsApp über bestimmte Tweets zu reden. Das sind zwei verschiedene Paar Welten. Entweder antwortet man hier oder dort. Das ist irritierend. Außerdem hat es den schalen Beigeschmack von Kontrolle, ständig über den Gefühlszustand des anderen Bescheid wissen bzw besorgt sein zu wollen. Das kann man auch übertreiben.

Ich hab Listen angelegt mit den allerliebsten Followern, und mit thematischen Interessen, z. B. Wetter, Klima, Soziales, Behinderung, etc. All das ist mir momentan während der Kur zweitrangig, deswegen vermisse ich es nicht besonders. Statt abends nur zu twittern, lese ich tatsächlich wieder mehr als vorher. Der reflexartige Griff zum Handy fehlt, wenn ich eine Situation erlebe oder einen Ausspruch höre, wo ich vorher sagte, das muss ich jetzt twittern. Hinterher vergeht der Moment und die Welt ging auch nicht unter, weil ich nicht darüber getwittert habe.

Wie geht’s weiter? Rückkehr heißt oft, dass ich sporadisch erste Bilder poste und dann automatisch in den alten Trott verfalle. Ich mache mir keine Illusionen, dass es dieses Mal anders ist. Über Autismus will ich aber dennoch weiter aufklären, über meine Sicht der Dinge. Mir folgen viele Psychologen und Lehrer. Ich hoffe, dass mein aufgeklärtes und differeziertes Bild von Autismus ein bisschen Früchte trägt und sich weiter verbreitet, weil immer noch viele Vorurteile existieren.

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Kompromisse

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Ganz verlassen konnte ich Twitter dann doch nicht. Ich entschied mich jedoch zu einer rigorosen Maßnahme: Ich deinstallierte die App vom Handy. Auf diese Weise kann ich unterwegs nicht nachschauen, sondern erst nach Feierabend oder nach der Wanderung. Zurück zu analogen Zeiten – immerhin benutzte ich Twitter von 2012 bis 2015 an einem, was man heute analogen Handy nennt, Klapphandy. Das ging mäßig zufriedenstellend, deswegen interagierte ich mehr vom Computer aus mit, was dann zu lange Computerzeiten mit sich brachte. Mein letzter Eintrag zu Licht ins Dunkel fasst meinen Weltschmerz gut zusammen – zum Zweck meiner Katharsis beschäftigte ich mich intensiv mit dem, was mir Angst machte, und kann nun nicht mehr überrascht werden. Das, was sonst so über die Timeline flattert, verdränge ich derzeit – ich lese nicht viel davon, sondern tue das, was ich monatelang immer weniger konnte: Ausblenden. Continue reading

Internet: Segen oder Fluch?

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Diesen Text kann man im Kontext von Autismus sehen, muss aber nicht so sein. Ich schrieb bereits im Jänner 2010 in einem 11-seitigen Essay über Vorzüge und Gefahren des Internets. Gefahren und Nachteile kann man ebenso im Licht des negativ konnotierten Kulturpessimismus sehen, aber auch als hinzunehmenden Umstand sehen, wie ihn jede technische Neuerung mit sich bringt. Ich halte nichts von Panikmache und Polemik, zu der sich Manfred Spitzer in seinen Bestsellern über den Niedergang der Kultur durch die digitale Revolution versteigt. Ich kenne die Gefahren, aber auch die Vorzüge und trage in nachfolgendem Text meine Gedanken zusammen:

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