Oder: Hot ma ka Glück, kummt a Pech a no dazu.
Heute wollte ich die Blutabnahme hinter mich bringen. Bis Februar bekam ich die Nebido-Spritze wegen Hypogonadismus alle drei Monate. Im ersten Blutbild im April war der Wert vom Gesamt-Testosteron viel zu hoch und wir warteten daher vier Monate bis zur nächsten Spritze. Subjektiv war das immer noch zu früh – ich hatte im ganzen Sommer Probleme mit den Venen und zu dickflüssigem Blut, erwiesenermaßen eine mögliche Nebenwirkung von Nebido. Anfang Juli wollte ich mir das – unglücklicherweise am heißesten Tag des Jahres – anschauen lassen, aber die urologische Ordination wiegelte ab, sie sei dafür nicht zuständig, ich müsse zum Internisten oder Hausarzt. Also fuhr ich in der brütenden Hitze weiter zum Hausarzt. Der wiegelte ebenfalls ab, ich sei dafür zu jung, das sei die Hitze. Einen Zusammenhang mit der Spritze negierte er, obwohl er sich mit dem Klinefelter-Syndrom nicht auskannte. Auch in den kühleren Witterungsperioden schwollen mir die Knöchel bzw. Waden an, was mich beunruhigte, weil ich das noch nie hatte – wenn auch nie so dick wie bei älteren und übergewichtigen Menschen. Anyway … ich kam heute extra nüchtern, weil die (Kassen-)Urologin ein großes Blutbild machen wollte, daran konnte ich mich noch dunkel erinnern, also nicht nur Hormonwerte, sondern auch Fette, Leberwerte, etc.
Der erste Schock war gleich bei der Eingangstür. Meine Ärztin war schwer erkrankt und fiele bis auf weiteres aus, stattdessen zwei Vertretungsärztinnen, die ich nicht kannte, die mich vor allem nicht kannten. Meine Ärztin war Spezialistin für Klinefelter, empathisch und schaute auch über den Tellerrand, immerhin hatte sie beim Ultraschall während der Erstordination auch zufällig den (ruhenden) Gallenstein entdeckt, der meinem Vorgänger nicht aufgefallen war. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich registrierte, dass die Ordination trotz Erkrankung offen war, nur halt in Vertretung.
Punkt 10.00 trat ich in die Praxis. Der zweite Schock dann in der Ordination selbst. Weil ich Ende August aufgrund eines Verdachts auf Nierenkolik zu einer anderen Urologiepraxis ging – es war Mittwoch, meine Urologin hatte geschlossen, und ich hätte am nächsten Tag arbeiten müssen -, war die E-Card gesperrt. “Das ist nicht so einfach, wenn sie den Arzt wechseln”, blaffte mich die (neue) Ordinationshilfe an, während ihr die ältere Ordinationshilfe über die Schulter schaute. Ja, was konnte ich für diese dämlichen Öffnungszeiten? Sie fragte mich, wie der Urologe hieß, bei dem ich war, er fiel mir natürlich nicht ein. Kurze Googlesuche, dann wusste ich es wieder. Sie mussten das erst klären mit dem anderen Urologen, damit die E-Card freigeschaltet wurde. Doppelt ärgerlich, denn wie sich ein paar Tage später herausstellte, hatten meine Beschwerden nichts mit den Nieren zu tun, sondern war ein Magen-Darm-Virus. Doch taten die Nieren weh und ich hatte gleichzeitig Kreuzschmerzen, so fingen frühere Nierenkoliken immer an. Der Blick vom anderen Urologen sprach Bände, nachdem die Untersuchung negativ ausfiel – wie es mir einfallen konnte, nicht vorher zum Hausarzt zu gehen, las ich darin. Weil mein Hausarzt eine Flasche war, war meine nicht ausgesprochene Antwort. Der hätte mich gar nicht erst untersucht. In Zeiten akuten Ärztemangels ist es nicht leicht, einen neuen Hausarzt zu finden, der sich Zeit nimmt und zuhört.
Ich wartete also im Wartezimmer, bis es geklärt wurde. Mittlerweile war es 10.30. Es folgte Schock Nr.3: Plötzlich kam die Ordinationshilfe erneut und sagte, es sei zu spät. Hormontests dürfen maximal bis 10.00 abgenommen werden. Ich sagte wahrheitsgemäß, dass mir das nicht bekannt war. 10.30 sei zu spät. Sie diskutierte noch ein paar Minuten mit der Schwester, die für Blutabnahmen zuständig sei. Die bekräftigte, dass 10.00 das Maximum sei. Ich fragte, warum exakt 10.00? Weil der Hormonwert danach schon so stark schwanken kann, dass die Ergebnisse verfälscht sein könnten. Jedenfalls blieben sie kategorisch bei 10.00, ich war also umsonst hergekommen. Hätten sie mich sofort dran genommen, wäre 10.05 vielleicht noch gegangen.
Danach gab es noch eine völlig unnötige Diskussion darüber, WAS untersucht werden sollte. Ich sagte, ich hätte gerne ein großes Blutbild, sie sagte, die Urologie sei nur für die Hormone zuständig, ich brauche eine zusätzliche Überweisung vom Hausarzt oder Internisten und fragten, ob ich einen guten Hausarzt hätte und ich sagte wahrheitsgemäß nein, der tauge nichts. Ich erwähnte, dass ich vor kurzem erst die Knochendichte habe messen lassen und ein Knochenmarködem habe, weswegen mir andere Blutwerte auch wichtig seien. Das müsse der Facharzt machen, entgegneten beide, sie können nicht einfach ohne Begründung irgendwelche zusätzlichen Werte draufschreiben, die getestet werden sollen. Ob ich eine Überweisung hätte? Nein, es hieß damals ja, ich könne jederzeit in die Praxis kommen. Dann stellten sie fest, dass es eine Laborzuweisung gab, auf der nicht nur Hormonwerte standen, sondern eben auch Fette, Leber, etc., also (größeres) Blutbild – was in herrlichem Widerspruch dazu stand, dass sie mich vorher belehrten, die Urologie sei für anderes nicht zuständig. Meine erkrankte Urologin war eben gut.
Das Ende von der Geschichte ist jedenfalls, dass ich morgen noch einmal früh aufstehen muss und nüchtern bleiben und in ein Labor fahren, um die Blutabnahme machen zu lassen. Mit dem Befund muss ich dann wieder zur (fremden) Urologin, die meine Vorgeschichte nicht kennt und von Asperger nichts weiß.
Was ich ohnehin nach der Blutabnahme geplant hatte, war, anschließend zu meinem Lieblingslokal frühstücken zu fahren. Dort der vierte Schock des Tages – das Lokal war (dauerhaft?) geschlossen, die Eingangstür mit Kartonpapier verrammelt. Ich war umsonst hingefahren, musste durch die Drängelei des Brunnenmarkts zur Haltestelle der Linie 2 – die alte Garnitur war natürlich bummvoll. Ich bekam noch einen fetten Overload dazu, begünstigt dadurch, dass ich immer noch einen leeren Magen hatte. Erst anderthalb Stunden nach dem vermasselten Arzttermin konnte ich endlich frühstücken, im Tewa am Karmelitermarkt, wenn auch nicht das, worauf ich mich gefreut hatte. Draußen im Gastgarten saßen überall verstreut wie Tretminen die Raucher und qualmten alle anderen zu. Ich ging nach drinnen, da war sonst keiner, aber die Musik war mir zu laut, zum gemütlichen Zeitungslesen etwas ZU laut. Nach so viel Pech langt es mir für heute, ich mag keine anderen Menschen mehr sehen.
Wo ist das Problem? Einerseits dieses extrem umständliche Gesundheitssystem, mit arbeitsfeindlichen Öffnungszeiten. Beim nächsten Mal, wenn ich einen Verdacht habe und die Urologiepraxis geschlossen ist, geh ich nicht zu einem anderen Kassenarzt, sondern gleich in die Spitalsambulanz. Dort ist das nämlich kein Problem. Die Ärzte beklagen sich so oft darüber, dass die Ambulanzen überfüllt sind – ja dann macht bitte Gemeinschaftspraxen, die Mo-Fr offen haben, und das auch nach 19.00 noch. Dann das strikte Festhalten an der Uhrzeit. Wie ist das eigentlich nach der Uhrumstellung Ende Oktober? Gilt 10.00 immer noch? Und bei mir als Schichtarbeiter, der sowieso keinen geregelten Tag- und Nachtrhythmus hat. Gilt die Tagesrhythmik des Gesamttestosterons dann auch noch? Drittens – die Urologin hat eine Webseite, auf der aber nichts von ihrer Erkrankung stand und den Vertretungsärztin. Hätte ich das früher gesehen, hätte ich schon gleich einen anderen Spezialisten suchen können. Und viertens – die wenigsten Ärzte schauen über ihr Fachgebiet hinaus. Klinefelter-Symptome werden urologisch festgestellt, aber hormonell behandelt. Es hat Auswirkungen auf die Muskel-Fett-Verteilung im Körper, und damit potentielle Risiken für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auf die Knochendichte (Calcium, Vitamin D-Werte), und damit erhöhte Osteoporosegefahr, und könnte auch meinen Ermüdungsbruch im Fuß begünstigt haben. Leider ist Klinefelter so selten, dass sich eine eigene Ambulanz dafür finanziell nicht rentiert, denn man müsste bestenfalls interdisziplinär behandelt werden statt wiederholt zu hören “dafür wir sind wir nicht zuständig, da müssen Sie zu einem XY” Und bei XY höre ich dann wieder “dafür bin ich nicht zuständig, blablabla.”
Jedenfalls ist das sehr ermüdend, immer weitergeschickt zu werden. Wahrscheinlich muss ich die wachsende Zahl an Fragen wieder einmal einem echten Wissenschaftler schicken, etwa in Dänemark, Niederlande, Skandinavien – die waren immer freundlich und haben mir teils längere Antworten geschrieben. Im deutschsprachigen Raum kann man’s echt vergessen.
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