Zahnarztbesuch

Kurzer Rückblick in die letzte Woche und wieder einmal ein Beleg dafür, dass es manchmal nicht vermeidbar ist, seine Diagnose offenzulegen. Durch Zufall fand ich bei der Internetrecherche eine auf Angstpatienten spezialisierte Zahnklinik, die Online-Terminvereinbarung anbot, wo es sogar einen umfangreichen Angstfragebogen gab, den man ausfüllen und anschließend um einen Termin bitten konnte. Weil ich Schmerzen in einem abgebrochenen Weisheitszahn hatte und eine gute Woche später ein gebuchtes Schneeschuhwanderwochenende anstand, überwand ich meine Angst und füllte den Bogen aus. Abgeschickt: Fehlermeldung. Das zwei Mal in Folge. Wieder verstrichen zwei Tage, bis ich mich vergangenen Montag entschied, direkt ans Sekretariat hinzumailen, kurz das erläuterte, was ich eigentlich in den Fragebogen schrieb, u.a. dass ich im Schichtdienst arbeite und dieses Wochenende Urlaub ansteht und ich entscheiden müsste, ob das was wird oder nicht. Ich bekam sofort eine Antwort mit einem Termin wenige Stunden später. Es handelt sich um eine Gruppenpraxis und ich geriet leider an einen wenig gesprächigen, phasenweise nicht anwesend wirkenden Arzt [der übrigens auch ein paar Mal gehustet hat, was mich regelrecht schockiert hat]. Ich war furchtbar nervös, weil es der erste Zahnarztbesuch seit vielen Jahren war und ich war mit der Situation vollkommen überfordert. Er hatte natürlich von der Zusammenfassung in meiner Mail keine Ahnung und ich brachte auf die Schnelle nicht alles so herüber, wie ich unbedingt sagen und fragen wollte.

Folge: Ich übte zu wenig Druck auf den Stoffballen zum Aufbeißen aus und wachte am nächsten Tag mit einem gefühlten Liter Blut im Mund wieder auf, was er dann mit einem blutstillenden Mittel in die offene Wunde behandeln musste. Er hatte mich zwar mehrmals gefragt, ob meine Blutgerinnung normal wäre, aber da ich noch nie einen Zahn gezogen bekam und ich mich nicht einmal erinnern kann, wann ich das letzte Mal eine größere blutende Wunde hatte, konnte ich ihm das nicht beantworten. Ich fragte auch wegen dem Wanderwochenende, aber da wich er irgendwie aus und ich erhielt weder ein ok noch ein no-go. In dem Verhaltensmaßregelzettel, den er mir mitgab, stehen 7 Tage Pause, demzufolge hätte ich absagen müssen. Aber ich bekam weder Antibiotika noch wurde genäht, und es wurde auch nur ein Wurzelrest entfernt, was nur wenige Minuten gedauert hat.

Das nächste Problem war die Arbeit. Ich sagte zwar, wo ich arbeitete, aber er schlussfolgerte nur, dass ich dann keine schwere körperliche Arbeit vor mir hätte. Das nicht, aber ich muss viel telefonieren und reden, was mit einem blutenden Mund nicht so schön ist. Ganz zu schweigen davon, dass es mit der Ernährung auch schwierig ist. Nachdem ich am Folgetag erneut bei ihm war wegen der Blutung, meldete ich mich krank. Ich war völlig fertig, schlief am Nachmittag, auch durch das Schmerzmittel (Ibu 600) eher schwindlig auf den Beinen. An Arbeiten war nicht zu denken. Auch am Folgetag schleppte ich mich noch durch den Dienst, ich musste ja wegen der Blutgerinnung auf Koffein bzw. Kaffee verzichten. Bei 12 Stunden Schicht mühsam. Insgesamt hatte ich die Folgen deutlich unterschätzt und fühlte mich auch nicht gut aufgeklärt, was genau ich jetzt wie lange unterlassen soll, ab wann ich wieder normal essen und trinken darf, wie lange keine Milchprodukte oder Koffein, etc. Das Hauptproblem war eigentlich, dass ich in der Situation vor und nach dem Eingriff reizüberflutet war und das meiste gleich wieder vergaß, was er sagte, oder inhaltlich gar nicht zu mir vordrang.

Was ich mir für die Zukunft merke: An den Folgetagen eines solchen Eingriffs unbedingt freie Tage oder Krankenstand einplanen. Und ich hatte den Satz mit dem Autismus schon in der Mail, aber dann wieder entfernt, weil ich mir eh schon dachte, dass das jetzt nur die Ordinationshilfe liest, nicht der zuständige Arzt. Ich wollte eigentlich begründen, woher mein großer Würgereiz kam, dass das sensorische Ursachen hat. Der hat ja dazu geführt, dass ich den ersten Aufbissballen gleich wieder ausspuckte und nicht lange Druck ausüben konnte. Jedenfalls fahre ich jetzt trotzdem wie geplant zum Wandern, bisher scheint es keine Komplikationen bei der Heilung zu geben, die Schmerzen sind vollkommen weg. Aber ein ungutes Gefühl bleibt einfach. Am kommenden Montag ist übrigens die Nachkontrolle. 10.30 steht drauf, obwohl ich gesagt habe, dass ich ab 11 Uhr arbeiten muss. Ich könne ja früher kommen. Ja, aber mindestens eine Stunde früher, sonst schaff ich das nicht. Das kommt eben davon, wenn man keine Zeit oder Gelegenheit hat, sich klar und unmissverständlich zu artikulieren.

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Löffelräuber: Auf die Folter gespannt werden.

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Wenn ewig um den heißen Brei herumgeredet wird, wenn etwas nicht sofort erledigt werden kann, wenn vage Ansagen kommen statt konkrete Zeitpunkte – diese Situationen ziehen extra viel Energie alias Löffel (vgl. Löffel-Theorie). und erschweren adäquate Reaktionen. “Das mag keiner”, “das geht mir auch so, und ich bin kein Autist”, ja – aber als Autist kann man sich regelrecht verirren im Labyrinth aus “worst-case”-Gedankenszenarien, und man kann vor allem sich und seine Umwelt damit verrückt machen, indem man an nichts anderes mehr denkt und die Konzentrationsfähigkeit verliert. Ein paar Beispiele: Continue reading

Mein Autismus

Der Text war Teil eines Vortrags, den ich heute bei einer Veranstaltung von Specialisterne Austria und Anecon in Wien gehalten habe.

Ich bin erst seit eineinhalb Jahren diagnostiziert und zähle wohl zu den unauffälligen Autisten. Unauffällig impliziert aber noch längst nicht, ein leichteres Leben zu haben, sondern auch mit hohen Erwartungen konfrontiert zu sein. In der Kind- und Jugendzeit blieb ich Außenseiter, mit anderem Musikgeschmack (z.B. Jazz) als alle anderen, anderen Hobbys, unsportlich und dafür immer viel am Schreiben, meist auf Notizzetteln und Blocks, aber auch Kurzgeschichten, Gedichte, usw. Meine Stärke war der Kopf, nicht der Körper. Meine Reizempfindlichkeit (gerade auf Geräusche) war zwar frühzeitig ausgeprägt, aber trat auf dem ländlichen Leben nicht sonderlich in Erscheinung. Erst mit dem Übertritt ins Studium bemerkte ich die Schwierigkeiten, weniger vom Lärm als vor allem zwischenmenschliche Kommunikation. Missverständnisse gab es immer wieder und ich kam mir oft reichlich naiv vor. Übrigens verstehe ich Ironie und Redewendungen oft problemlos, nur beim “abends werden die Bürgersteige hochgeklappt” stellte ich mir das  bildlich vor.

Seit einem Jahr blogge ich hier regelmäßig über Autismus, über alles, was mich interessiert und weil ich gerne Englisch lese, übersetze ich englische Texte über Autismus, gelegentlich schreibe ich auf Englisch, weil ich meine Gedanken so besser zum Ausdruck bringen kann.

Viele dringende Themen betreffend Autismus gehören angesprochen, aber mich gibt es nur einmal und deswegen ist mein wichtiges Anliegen die Arbeit. Zuviele Ängste und Vorurteile verhindern, dass Firmen Autisten einstellen oder weiterbeschäftigen. Oft kommt es zu Missverständnissen aufgrund ihres Verhaltens oder unklarer Vorgaben. Und Autisten sind nicht nur in IT-Berufen zuhause, sondern in allen (!) Berufsfeldern, längst nicht nur Männer, sondern auch viele Frauen. Wenn die Rahmenbedingungen günstig sind, ist ein Autist ein genauso wertvoller und produktiver Mitarbeiter wie alle anderen auch.

Mein Werdegang ist sicherlich nicht stereotyp für Autisten. Zwar findet sich in vielen Infotexten oder Büchern über Autismus der Hinweis auf “beschäftigt sich gerne mit dem Wetter”, doch liest man nirgends von Autisten, die ein solches Spezialinteresse zum Beruf gemacht haben. Ich habe es studiert und arbeite seit über 6 Jahren im Schichtdienst. Dieser spezielle Beruf und meine Leidenschaft bringen es mit sich, sich immerzu mit dem Wetter zu beschäftigen. Wetter hört nie auf, nein, auch nachts nicht (schon zwei Mal bekam ich die irritierende Frage, was ein Meteorologe in der Nacht macht), und deswegen ist Vollzeit für mich kein Nachteil. In meiner Freizeit nutze ich mein Wissen, um meine Wandertouren zu planen und fotografiere währenddessen auch die Wetterphänomene, worüber ich später wieder Berichte und Fallstudien schreibe. So schließt sich der Kreis, es macht mir Spaß und ich gewinne ständig an Erfahrungen, die ich im Beruf direkt einsetzen kann.

Einschub Studium:

Ich hatte Glück. Ich wurde finanziell unterstützt, hab noch im Diplom studiert, konnte die zeitliche Abfolge der Fächer und Prüfungen großteils selbst bestimmen und es war eine kleine, aber sehr soziale Gemeinschaft an Studienkollegen, die sich gegenseitig geholfen hat. Heutzutage im Bachelor/Master hat sich vieles geändert, gerade in meinem Studienfach eindeutig zum Nachteil. Wen es wirklich in die Wettervorhersage zieht, der hat nach 3 Jahren Bachelor zu wenig Praxis und wird in der Regel schlechter bezahlt als mit Master-Abschluss. Es gibt viele Anwesenheitspflichten und kaum noch freie Wahlfächer (ich besuchte z.B. Sportphysiologie aus purem Interesse), was das interdisziplinäre Denken nicht fördert (das ist aber sehr wichtig, um Kreativität zu fördern).

Viele Autisten tun sich schwer mit …

  • Gruppenarbeit, Kontakte knüpfen, Fragen zu stellen
  • überfüllten Hörsälen, Reizüberflutung, Akustik (Professor ganz vorne verstehen), Prüfungssituationen mit Nebengeräuschen
  • Anwesenheitspflicht, wenn bereits der Alltag anstrengend ist und Erholung nur zulasten von Vorlesungsstunden gehen kann
  • Finanzierung durch Nebenjobs, weil dafür die Energie fehlen kann bzw. typische Nebenjobs nicht zwingend autistenfreundlich sind (z.B. kellnern)

Für viele Probleme gibt es jedoch Lösungen, sei es eine Assistenz(hund), feste Ansprechpartner im Studienfach, Nachteilsausgleiche bei Prüfungen, ein konsequentes Durchsetzen der Ruhe im Hörsaal (quatschende Studenten sind extrem störend und belastend), kleinere Gruppen, Kennenlernen über schriftliche Kanäle, etc.*

Auch in der Arbeit ähneln sich die Schwierigkeiten oft, aber auch hierfür gibt es Lösungen:

Wenn Telefonate schwerfallen … sich Notizen machen (daran erinnert werden, Notizen zu machen), um den Gesprächsinhalt nicht zu vergessen. Möglichst auf E-Mail ausweichen oder zusätzlich ein E-Mail schicken, um den Inhalt noch einmal zusammenzufassen.

Wenn Missverständnisse entstehen … Anweisungen klar formulieren und vor allem nicht auf die Zwischenschritte vergessen. Mir geht es dabei oft wie bei Anleitungen, ein Möbelstück zusammenzubauen, es werden oft Schritte übersprungen, “weil sie für den Durchschnittsmenschen eh logisch sind”, nur für mich eben nicht.

Die Umgebung reizarm gestalten …. also den Kopierer aus dem Büro in den Flur verbannen, nicht das Radio laut aufdrehen und schon gar nicht, wenn man gerade telefonieren muss. Wenn ein Einzelbüro nicht möglich ist, dann Kopfhörer anbieten, auch ein Milchglas hilft als Trennwand, denn ablenkend sind hektische Bewegungen im Blickfeld (wenn Kollegen oder Kunden hin und her laufen).

Infos bezüglich Änderungen rechtzeitig und vollständig bekanntgeben … nicht darauf hoffen “der wird das schon irgendwie erfahren”, gilt besonders bei Teilzeit, wenn die Anwesenheit im Büro zu einem Infomangel führt. Autisten fühlen sich wohler, wenn etwas vorhersehbar ist, wenn etwas geplant werden kann. Das senkt den (negativen) Stress deutlich, sie sind dann deutlich entspannter.

Feste Ansprechpartner sind ebenso hilfreich wie eine – stets aktuell gehaltene Checklist.

Über autistische Stärken habe ich mich erst vor kurzem ausgelassen. Ich glaube, dieses “thinking outside the box” ist eine der Schlüsselfaktoren, wo Autisten einen Mehrwert einbringen können.

Bei mir ist es das Denken in Bildern bzw. Mustern, was mir in diesem Berufsfeld Vorteile bringt. Meine Aufgabe ist es, das Wetter richtig zu prognostizieren. Das geschieht mithilfe von Wetterkarten, die teils komplex aufgebaut sind. Wiederkehrende Wetterlagen zeigen ähnliche Muster (100 % gibt es nicht) und hier hilft die Erfahrung, diese Ähnlichkeiten zu erkennen. Ich kann die Karten blitzschnell durchscrollen, weil ich ein gutes visuelles Gedächtnis habe.

Ich achte auf Details und erkenne Kleinigkeiten, die große Auswirkungen auf die Qualität der Prognose haben können. Mein vielfältiges autodidaktisch erarbeitetes Wissen in den unterschiedlichsten Teilbereichen hilft mir hier weiter.

Detailerkennung bedeutet Fehlererkennung, ich sehe Rechtschreibfehler sofort und habe  ein Gefühl dafür, ob ein System “reibungslos” läuft oder die Effizienz gesteigert werden kann. In den meisten Fällen läuft übrigens etwas unrund, weil ein Mangel an Kommunikation besteht. Es mag ironisch anmuten, dass dies ausgerechnet einem Autisten auffällt, aber aus einer Schwäche kann eben eine Stärke werden.

Eine logisch-systematische Denkweise ist immer hilfreich. Viel zu oft wird die Frage nach dem “warum” nicht gestellt. Ich gebe mich nie damit zufrieden, wenn eine Prognose nicht hinhaut, sondern betreibe immer Ursachensuche. Erst, wenn ich die Ursachen einer Fehlprognose bzw. einer bestimmten Wetterentwicklung erkannt habe, kann ich dies beim nächsten Mal berücksichtigen und künftige Fehlprognosen vermeiden zu versuchen. Ich breche aus vorgefertigten Schablonen aus und lerne neue Methoden hinzu.

Den typischen Autisten gibt es nicht. Der eine hat kein Problem mit Telefonaten, etwa im Callcenter, weil es immer die gleiche Abfolge hat, die andere mag nur bestimmte Telefonate nicht oder kann nicht telefonieren, wenn es laut ist. Es gibt Autisten, die tagelang Exceltabellen ausfüllen können und andere, die Abwechslung – geplant – lieben. Der vermeintlich schüchterne Autist kann tatsächlich extrovertiert sein und gerne auf Partys oder Betriebsfeiern gehen, aber weiß nicht, wie er seine Kollegen anreden soll. Und nicht zuletzt sind Autistinnen auch in Sozialberufen vertreten, ich kenne Lehrerinnen, Ergottherapeutinnen und Psychologinnen. Ihr Spezialinteresse zum Beruf gemacht, warum muss Autismus da zwingend ein Hindernis sein?

Mein Appell an meine Leser, insbesondere an Arbeitgeber, Personalchefs, etc. ist:

  • Lasst Euch auf den Autismus ein! Wenn ihr von der Diagnose wisst, nehmt sie ernst. Fragt nach, holt Informationen ein, aber lasst ihn auch dazu etwas sagen, denn im Internet findet sich viel veralteter Unsinn über Autismus. Wenn sich ein Autist outet, ist das eine große Kraftanstrengung, die großen Respekt verdient! Legt ihm dann nicht nahe, es für sich zu behalten, wenn er offen damit umgehen möchte. Immerhin betrifft es nicht nur den Chef, sondern auch die Kollegen.
  • Fördert den schriftlichen Austausch! Die Mehrheit der Autisten tut sich schriftlich leichter als mündlich. Viele Angelegenheiten lassen sich besser per Mail klären als mit einem Anruf. Zudem geben sie dem Autisten auch Zeit, eine Antwort zu formulieren anstatt Schnellschüsse zu produzieren.

* Nachtrag bezüglich “Lösungen”. Ich hätte es im Konjunktiv formulieren sollen. Es gäbe viele Möglichkeiten, dass ein Studium für Autisten nicht unmöglich ist. Auch wenn das sicherlich vom Studienfach abhängig ist. Ich habe Naturwissenschaften studiert, wo es wieder anders ist als in Sozial- oder Geisteswissenschaften. Da gab es Arbeitsgruppen, um Übungsaufgaben zu lösen. Ein Studium steht und fällt mit den Finanzen, das gilt für alle, insbesondere weil die heutige Bachelor/Master-Konzeption kaum einen Teilzeitjob oder mehr duldet, aufgrund der häufigen Anwesenheitspflichten und des stark verschulten Lehrplans. Ein tierischer Begleiter im Alltag ist derzeit eher Glück, die Finanzierung dafür momentan theoretisch, zumal viele mit einem Begleithund nur blinde Menschen verbinden, nicht aber autistische Menschen.

Wie geht’s Dir?

übersetzt aus dem Englischen

von Jeannie Davide-Rivera (Originaltext auf Englisch)

Ich weiß nicht, ob mein Problem mit dieser Frage an sozialen Erwartungshaltungen liegt und ich in diese sozialen Fettnäpfchen steige, oder ob ich alles wortwörtlich verstehen muss und dem Bedürfnis nachgebe, Fragen zu beantworten. Wenn Du mich jedenfalls zum Erstarren bringen willst, frag einfach

 „Wie geht’s Dir denn heute?“

Mein Gehirn stellt seinen Dienst ein!

Ernsthaft. Mein Gehirn schaltete unmittelbar in den Frage- und Antwort-Modus. Die Minute davor hast Du mich noch angelächelt und sagtest

„Hallo“.

Ich habe niemals verstanden, weshalb man diese Frage als Grußformel benutzen muss. Wenn Du mir eine Frage stellst, werde ich sie beantworten. Warum würdest Du auch etwas fragen, was Du nicht wissen willst, oder? Mein Ehemann sagte, es ist bloß eine Art, höflich zu sein, wenn man jemanden empfängt. Worauf ich antwortete: „Warum kannst Du nicht einfach Hallo sagen, wenn es bloß eine Begrüßung ist?“

Für jene ohne Asperger mag das lächerlich und albern klingen. Für sie ist es verständlich, dass die Person nicht wirklich wissen will, wie es einem geht. Sie fragen nur aus Höflichkeit. Was sie nicht sehen: Ich verstehe, dass das eine Form der sozialen Spitzfindigkeit ist. Ich weiß das und ich scheitere auch nicht es zu verstehen. Wenn ich aber gerade beschäftigt bin, über etwas nachdenke, am Telefon antworte, ein Treffen ausmache oder in ein Büro gehe, um jemanden um etwas zu bitten, und Du mich fragst, wie es mir geht, stürzt mein Gehirn ab.

Meine Tätigkeit wurde durch eine Frage unterbrochen. Ich verliere meinen Gedankenzug und beginne gewöhnlich damit, die Frage zu beantworten. Das Problem dabe ist, dass ich mir zu spät bewusst wird, dass ich darauf nicht antworten muss. Die korrekte Antwort ist:

Fein, wie geht’s Dir?

Und dann mit dem Gespräch fortfahren, als ob niemand diese Fragen gestellt hat. Mein hochgradig logisches Gehirn findet das komplett unlogisch! Und um das noch zu verschlimmern, dauert es ein paar Sekunden, bis ich mich daran erinnere, dass mir eine rhetorische Frage gestellt wurde, und oftmals bleibe ich zurück und fühle mich wie ein völliger Idiot.

Meine Gedanken werden unterbrochen

Meine Gedanken sind bereits unterbrochen, meiner Konzentration beraubt, und ich beginne damit eine Antwort zu formulieren. Wie geht’s mir heute? Verglichen mit gestern, allgemein oder dreht sich die Frage um meine Arbeit? War ich heute produktiv? Blödsinn! Ich bin im Plan hinterher. Warte … OH YEAH! Das ist keine echte Frage, missachte sie, und zaubere die korrekte Standardantwort  hervor: Fein, und wie geht’s Dir?

Klingt verrückt? Es bringt mich zum Überschnappen.

Wie manche von Euch wissen, beschloss ich vor ein paar Wochen, einen professionellen Finanzberater aufzusuchen, um meine Verrücktheit wieder in Ordnung zu bringen. Ich rief an, hinterließ eine Nachricht, und warte auf einen Rückruf mit einem Terminvorschlag. Als das Telefon läutete, wusste ich, dass es mein Rückruf war (Anruferkennung natürlich). Ich nahm an.

Ich : Hallo?

Anrufer: Frau (Aspie Writer)? Hier ist die Frau Beraterin vom Beratungsserivce. Wie geht’s Ihnen heute?

Ich: Oh…ähmm…. ach, ja.

Dann beginnt das Kesseltreiben.Das Band in meinem Gehirn spielte erneut mit der Stimme aus dem Off ab: Du Idiot! Wie geht’s Dir heute? Oh …ähmm, …ach, ja, wirklich? Du klangst wie ein babbelnder Idiot. Sie wird sich fragen, was in der Welt mit Dir falsch ist. Vielleicht hätte ich die Frage beantworten sollen. Mir geht’s heute nicht gut, ich rief sie an. Das würde andeuten, dass ich bei etwas Hilfe bräuchte. Deshalb geht es mir nicht gut.

Etwas ähnliches wie hier wird beinahe immer passieren, wenn ich auf diese harmlosen Feinheiten treffe. Mein Gehirn springt vom Grüßungsmodus in den Frage-Antwort-Modus. Dann dauert es ein paar Augenblicke, um es zu vergegenwärtigen und ich springe zurück. Bis dahin vergaß ich, was ich tat oder sagen wollte, und verpasse Teile der Unterhaltung.  Im obigen Beispiel verpasste ich den ersten Teil des Telefonats, weil ich bei der Frage feststeckte und der innerer Monolog in meinem Kopf weiterlief. Ich verpasste völlig, was die Frau sagte, und es endete damit, sie auffordern zu müssen, das Gesagte zu wiederholen. Ich war danach ziemlich frustriert über mich selbst. Mein Gehirn ist auslaugend!

Meine Frage ist daher: Warum kannst Du nicht bitte einfach nur Hallo sagen?
Schon eine unschuldige, kleine, unausgereifte Frage legt mir Steine in den Weg. Bin ich damit allein? Bringt das auch andere zur Ablenkung? Hast Du Dich selbst schon einmal dabei ertappt, die Frage ehrlich zu beantworten, und dabei festgestellt, dass Deine Ausführungen niemanden interessieren?

Autismus im Beruf (II)

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Im zweiten Teil der Reihe “Autismus im Beruf” geht es um warnende Anzeichen von Autisten, die sich am Arbeitsplatz zunehmend unwohl fühlen, oder innerlich gar schon gekündigt haben.

Ich habe dazu aus Rudy Simone “Asperger’s on the Job” Kapitel  19 übersetzt. Das gesamte Buch wird derzeit von www.autismusverlag.ch ins Deutsche übersetzt und wird voraussichtlich noch in diesem Jahr erscheinen.

“Bye bye”, sagte das Schwarze Schaf: Den Präventtivschlag des Aspergers vermeiden

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