Mir schwillt immer noch der Kamm, wenn ich diese Zeilen lesen muss. Zuerst die Aussendung vom 20. Dezember 2016 im KURIER:
Die Vorwürfe weist Soziallandesrat Norbert Darabos zurück, denn nicht der Schulbesuch für behinderte Kinder werde kostenpflichtig, sondern eine zusätzliche pflegerische Betreuung für Kinder mit Behinderungen, und das auch erst ab einem bestimmten Haushaltsnettoeinkommen.
Ja, das läuft aber aufs selbe Hinaus, wenn die Betreuung notwendig ist, um am Unterricht teilhaben zu können.
Er argumentiert, dass bisher zu viel Geld für Integrationshilfen für verhaltensauffällige Kinder aufgewendet wurde, hier brauche es andere Unterstützung. Die Eingliederungshilfe gelte mit den neuen Richtlinien nur mehr für Schüler, die eine körperliche Behinderung haben. Dadurch will das Land zwei Millionen Euro sparen.
Mit welcher Begründung bitte? Aber es kommt noch dicker: Nach massiver Kritik wurden zwar die Kürzungen in der Sozialhilfe zurückgezogen, aber …
Der Umstand, dass 57 % der Mittel für Verhaltensauffälligkeiten genehmigt wurden, zeigte ein Ungleichgewicht zwischen verhaltensauffälligen und behinderten Kindern. Behindertenhilfe für Kinder mit Behinderungen lautete die Intention der Richtlinienänderung. „Das Geld soll auch bei denjenigen ankommen, die es wirklich brauchen“, sagt Darabos.
Das klingt ein wenig wie “Österreich den Österreichern”. Das Ungleichgewicht hätte man auch dadurch beseitigen können, behinderten Kindern eine höhere Förderung zukommen zu lassen, statt sie gegen verhaltensauffällige Kinder auszuspielen. Der Soziallandesrat der SPÖ-FPÖ-geführten Landesregierung im Burgenland bewegt sich hier auf sehr dünnem Eis, denn das Signal ist ein Fatales:
Wer aufälliges Verhalten hat, aber keine (sichtbare!) körperliche Behinderung, ist also selbst Schuld oder man schiebt es wieder einmal den Eltern in die Schuhe (Autismus-Ursachensuche bis in die 70er-Jahre: die Kühlschrankmutter. Lange widerlegt seitdem!). Darabos ignoriert hier den Umstand, dass auffälliges Verhalten nicht automatisch antisoziales Verhalten darstellt, sondern oft neurologische Ursachen hat, also ursächlich eine körperliche Behinderung oder Auffälligkeit vorliegt.
Gerade im Hinblick etwa auf verhaltensauffällige Autistinnen und Autisten ist das Konzept der Integrationshilfe ziemlich rudimentär aufgebaut. Hier ist die Nachfrage bei der Österreichischen Autistenhilfe so groß, dass vorrangig nur “Härtefalle” eine persönliche Assistenz bekommen. Zudem scheint laut Aussage von Betroffenen ein Vorwissen in Autismus nicht zwingend Voraussetzung für diese Art der Integrationshilfe. Gerade bei Menschen mit anderer Wahrnehmung ist es aber zentral, sich mit dieser intensiv auseinanderzusetzen.
Die zitierte Aussage suggeriert außerdem, verhaltensauffällige Kinder würden keine (staatlich finanzierten) Hilfen brauchen. Das ist eine glatte Missachtung der UN-Behindertenrechtskonvention. Hier sind Menschen mit Behinderung klar definiert als …
[…] Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. […]
Kinder genießen dabei besonderen Schutz auch im schulischen Bereich:
Die Vertragsstaaten sind nach Artikel 30 Abs. 5 Buchstabe d der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern an Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können, einschließlich im schulischen Bereich.
Es steht Herrn Darabos also nicht zu, Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten von jenen mit körperlichen Behinderungen zu trennen. Behinderung ist Behinderung! Er und generell das Gesundheitsministerium sollten sich vielmehr darum bemühen, dass die Zahl der Fachkräfte für psychische Behinderungen deutlich aufgestockt wird, sowohl bei Kindern- und Jugendärzten als auch bei Erwachsenen, in der Diagnostik, etc. fehlt es an allen Ecken und Enden. Geld alleine hilft da nicht, das stimmt, aber ein klares Bekenntnis fehlt, hier mehr Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen.
Es schmerzt mich ungemein, dass solche Aussagen ausgerechnet von einem Sozialdemokraten kommen. Es sollte mich nicht überraschen, denn die Sozialdemokraten im Burgenland stehen ohnehin soweit rechts, dass sie mit der FPÖ offenbar mehr verbindet als voneinander trennt. Es ist dennoch eine Schande, von dieser Partei verraten zu werden.
Als letzter Hinweis für Herrn Darabos:
Es war der österreichische Kinderarzt Hans Asperger – ja, nach diesem wurde das Asperger-Syndrom benannt, eine Form von Autismus – der zahlreiche verhaltensauffällige Kinder, kleine Autisten und Autistinnen vor der Ermordung durch die Nazis gerettet hat.
Bitte fangen wir jetzt nicht wieder damit an zu unterscheiden, wer Hilfe benötigt und wer nicht. Gerade im Hinblick auf den massiv erstarkten Rechtspopulismus in Österreich und Deutschland und in den Nachbarstaaten. Ich spreche hier nicht von Bringschuld, aber von sozialer Verantwortung gegenüber den Schwächsten in der Gesellschaft. Wehret den Anfängen!