Der unbeliebte Job

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Abflug von LOWW

Ich arbeite als Flugmeteorologe, bin also für Wetter und Warnungen an den Flugplätzen und im Luftraum zuständig. Als ich 2003 zu studieren anfing, hätte ich mir nie träumen lassen, einmal im 90m hohen Flugsicherungstower zu sitzen mit Rundumsicht. Zwei Semester Flugmeteorologie hatte ich gehabt, war sehr spannend, aber damals für meine Selbsteinschätzung über meinem Niveau. Von meinem Autismus wusste ich da noch lange nichts. Nach mehreren Jahren bei privaten Wetterdiensten beendete ich im Sommer 2017 die Ausbildung zum Flugmeteorologen. Ein riesiger Sprung, nicht nur finanziell, sondern auch fürs Selbstwertgefühl. Meine Stärken konnte ich endlich dort einbringen, wo sie gewertschätzt und gebraucht wurden. Der Wechsel von Salzburg nach Wien war nochmal ein Sprung nach oben in der Verantwortung, aber alternativlos. Entweder in Salzburg bleiben mit dem Freundeskreis in Wien, mangelnde Mobilität, Massentourismus (jetzt nicht mehr), oder nach Wien zurück, aber dann war klar, dass ich 800 Flugbewegungen am Tag hatte, Dreiviertel mehr als am stärkstfrequentiersten Chartersamstag in der Wintersaison in Salzburg. Es war klar, es ging um etwas, aber die Arbeit im Team machte mir trotzdem Spaß. Die Aussicht von 90m Höhe im Tower ist nicht zu überbieten, die Dämmerungsfarben am Abend und in der Früh unübertrofffen.

Obwohl mein Arbeitsplatz ein Flughafen ist, bin ich nicht naiv oder blind für die Klimaerwärmung. Ich habe nie ein Auto besessen, was in Salzburg zwei Jahre lang eine Herausforderung war, denn ich musste immer mit dem Rad in die Arbeit fahren, bei Schneelage zu Fuß gehen, weil die Nebenstraßen nicht geräumt waren. Ich bin nicht oft geflogen, am häufigsten dienstlich, nur selten privat (darunter Hamburg 2015, 2x Frankfurt, 1x Berlin). Auslandsurlaube waren bisher nur in der Slowakei, eine Griechenland-Flugreise musste ich letztes Jahr stornieren. Meine erste Fernreise hätte ich 2021 auf Kap Verden geplant. Sonst mache ich überwiegend in Österreich Urlaub, fahre alleine mit der Bahn oder gemeinsam mit dem Auto.

Ich weiß auch genug über den Klimawandel, dass die Maßnahmen jetzt umgesetzt werden müssen, nicht erst in ein paar Jahrzehnten. Von Greta Thunberg und der Friday4Future-Bewegung ausgehend hatte ich gehofft, dass der gesellschaftliche Druck für tiefgreifende Veränderungen weiterzunimmt. Zusätzlich bringen Trockenheit, Waldbrände und Hitzewellen mit immer neuen Rekorden weitere Schärfe in die heftig umgekämpfte Debatte, wann und wie man denn handeln muss. Dass das auch den Flugverkehr betreffen muss, war mir ebenso bewusst. Es gab und gibt die Stellschrauben, um den Flugverkehr zu verringern und Steuereinnahmen für umweltfreundliche Projekte zweckzuwidmen. Ich war dafür, aber nicht so. Nicht innerhalb von zwei Wochen von 100 auf Null. Mit der sehr optimistischen Perspektive, dass es in drei Jahren wieder normal ist, und damit nicht vergleichbar mit 2001 (11.09.) oder 2010 (Eyjafjallajökull). Jetzt hat die Pandemie die größte Krise in der Geschichte der Luftfahrt ausgelöst, und mein so krisensicher geglaubter Job ist mittendrin. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir nie wieder zum Vorkrisenniveau zurückkehren werden. Nicht nur, weil alle Airlines ihre Flotten verkleinern und die Nachfrage wegen der Weltwirtschaftskrise kleiner werden wird, sondern weil der Klimawandel keine Pause macht, der nimmt die nächsten Jahre in ungeahntem Ausmaß Fahrt auf. Ohne Flugverkehr machen weder Flughafen noch Flugsicherung Gewinn, deswegen sind wir alle in Kurzarbeit und ich hab die ersten Gehaltseinbußen, seit ich vor zehn Jahren ins Berufsleben eingestiegen bin.

Die vergangenen sechs Jahre meisterte ich alle Schwierigkeiten, Jobwechsel, Wohnungswechsel, hangelte mich mit befristeten Verträgen und Leiharbeitsverträgen weiter. Ich wartete sehnsüchtig auf den Moment, in dem ich wieder einen unbefristeten Vertrag erhielt und ich endlich einen Urlaub im Folgejahr planen oder mir überlegen konnte, wo ich denn längere Zeit wohnen möchte. Diese Sicherheit rückt gerade wieder in weite Ferne. Und ich bin eben keine Maschine, die ewig belastet werden kann. Der Autismus zeigt mir meine Grenzen auf. Ich fürchte mich vor dem Sparstift und verschärften Arbeitsbedingungen. Vor Corona waren die Leute interessiert und neugierig, wenn ich meinen Beruf sagte. Das war ein guter Smalltalk-Einsteiger. Durch die Pandemie hat sich das Bild der Luftfahrt innerhalb weniger Wochen gedreht, jetzt fordert die Mehrheit, die Airlines doch alle pleite gehen zu lassen. Dabei hängen da nicht nur deren Jobs dran, sondern alleine in Österreich 90000 Jobs an der Airline und daran, dass Wien seine Drehkreuzfunktion für Kurz- und Langstreckenflüge behält. Für meine Kollegen an den Bundesländerflughäfen schaut es nicht besser aus. Auch der Tourismus braucht die Urlauber aus dem Ausland, die Gastronomie, die Hotels, die Stadt mit Konferenzen und Messen, Großveranstaltungen, Konzerte, die Zulieferer, die vielen Busfahrer, etc.

Ich hab die letzten Wochen sehr wohl bemerkt, dass meine Tweets zur Erhaltung des Flugverkehrs kaum gefavt worden sind, geschweige denn retweetet. Immer öfter ergaben sich mühsame Diskussionen, die damit endeten, ich ignoriere den Klimaschutz oder mir seien die Kleinstunternehmer egal, die gerade zu hunderttausenden Pleite gehen. Mir kann beides wichtig sein, dass die Soforthilfe ankommt, was in vielen Ländern besser funktioniert als in Österreich, und dass man 90000 Arbeitnehmer nicht einfach in die Arbeitslosigkeit schickt. Und die Frage, wie man das alles finanzieren will…Vermögensteuern, Erbschaftsteuern, Parteienförderung einschränken, weniger PR-Budget für den Kanzler, beim stinkenden Fischkopf anfangen. Unter den betroffenen Mitarbeitern befinden sich jedenfalls auch viele, die grün wählen, die sich ehrenamtlich engagieren, die kritischen Journalismus unterstützen, die aktiv Flüchtlingshilfe betreiben. Es sind nicht alles umweltfeindliche ÖVP-Wähler. Wenn künftig AUA-Piloten von ihren 1200 Euro Nettolohn ihre hohen Ausbildungsschulden abstottern müssen, klatscht bitte nett für sie auf den Balkonen, danke. Bei Laudamotion verdienen Flugbegleiterinnen pro Monat netto 959 Euro.

Ja, mein Blick ist gebiast… ich würde die Airlines retten mit Auflagen, ein Großteil sind ohnehin Kredite, aber lieber geordnet das Ganze als alles auf einmal zusammenbrechen zu lassen. Das rettet keinen Kleinstunternehmer und kein Gasthaus mehr. Jedenfalls zipfen mich die Diskussionen langsam an und ich hab keine Lust mehr, irgendwelche Wetterauskünfte privat zu beantworten. Ich muss ja auch von was leben, und wenn das mangelnde Gespür dafür fehlt, weshalb ich hier eine andere Meinung habe, dann brauche ich auch keine Verpflichtung fühlen, Wetterauskünfte in meiner Freizeit zu geben.

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