Die letzten Wochen waren sehr anstrengend für mich, weil ich aus meinen gewohnten Routinen gerissen wurde. Es kamen gleich mehrere Baustellen zusammen und das hat dazu geführt, dass ich phasenweise die Fassung verloren habe und im mildesten Fall auf Twitter mit niveauarmen Schimpfwörtern um mich geschmissen habe. Der korrekte autistische Fachbegriff dafür lautet “Meltdown”. Erst elf Tage Dienstreise (Einschulung am neuen Arbeitsplatz in Wien), dann eine Woche Übersiedlung und diese Woche erneut Dienstreise (zum alten Arbeitsplatz, weil wegen Unterbesetzung meine Dienste nochmal benötigt werden). Meine üblichen Entspannungsroutinen – wandern, Film schauen, fotografieren, schreiben/bloggen – konnte ich in der ganzen Zeit kaum umsetzen.
Erschwerend kamen anhaltende Vorderfußbeschwerden hinzu, die die letzten Monate immer stärker wurden, aber lange Zeit so unspezifisch waren, dass ich viel zu spät erkannte, dass eine (mechanische) Überbelastung die Ursache war. Letzendlich erwiesen sich die 3 Minuten Behandlungszeit beim Arzt als ausreichend, fiel doch das verordnete Röntgen negativ aus und die verschriebenen Einlagen haben fast unmittelbar zur Schmerzreduktion geführt. Die letzte Gaisbergtour in Salzburg konnte ich vollkommen schmerzfrei durchführen. Aber: Zu den Einlagen hätte ich mir mehr Infos gewünscht, wie lang ich sie tragen soll, was ich mit unterschiedlich breiten Schuhen machen soll, wie man neue bekommt, etc. Bis zur Abholung am vergangenen Montag dauerten die Schmerzen an, was während der Übersiedlung sehr hinderlich war. Möbel schleppen, viele (lange) Fußwege, das nagte an der Substanz. Mit den ständigen Schmerzen war auch nicht daran zu denken, neue Wanderpläne zu schmieden. Ohne sich auf ein Ziel zu freuen blieb alles grau in meiner Seele. Stimmung im Keller.
Dank meiner ständig aktuell gehaltenen “To-Do-Listen” waren meine Helfer und ich mit der alten Wohnung fertig, bis die Umzugsfirma ankam, lustigerweise war einer der Umzugshelfer schon vor zwei Jahren dabei, als ich nach Salzburg zog – ich erkannte sein Gesicht. Das beruhigte mich, denn schon damals lief alles professionell ab. Wir hatten genügend Kartons gepackt und die Möbel schon transportgerecht zerlegt, sie mussten nur noch einpacken, das dauerte gerade Mal eine knappe Stunde. Von älteren Möbeln hab ich mich getrennt, Bettgestell und Lattenrost waren nach 13 Jahren hinüber, Schreibtisch und Stuhl nicht mehr im besten Zustand, das alles wurde zum Wertstoffplatz gebracht. Gut, dass mein Bruder mit dem Auto kam, alleine hätte ich das nicht wegbringen können. Trotz des straffen Zeitplans erlaubte ich mir eine persönliche Auszeit in Gestalt einer Gaisbergtour einen Tag vor Ankunft meiner Helfer. Das sorgte für Unverständnis, ich hätte in der Zeit schon Kleinkram in der Wohnung zusammenpacken können. Tatsächlich aber brauchte ich diese Auszeit nach den elf Tagen Dienstreise vorher, in der ich sehr wenig Bewegung hatte. Ich musste wenigstens ein paar Stunden aus dem Hamsterrad ausbrechen, damit Körper und Geist wieder funktionierten für die anstehenden Aufgaben. Im Nachhinein gesehen hat es auch nichts durcheinander gebracht – wir waren Mittwochmittag fertig, Donnerstag früh fand der Umzug statt.
Die Übergabe lief dann leider schief. Da hab ich mehrere Fehler gemacht, der größte war, nicht schon von Beginn an eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen bzw. in den Mieterbund einzutreten. Das lag hauptsächlich daran, dass mich alles, was mit Versicherung zu tun hat, inhaltlich überfordert. Ein weiterer Fehler war, die Zeugin bei der damaligen Übernahme der Wohnung nicht zur Übergabe mitzunehmen. Das würde mir jetzt viel Aufwand ersparen. Die Kaution betrug nämlich nicht das (übliche) Dreifache der Miete im Mietvertrag, sondern war höher angesetzt worden. Im Protokoll von damals haben wir den richtigen Betrag festgehalten, der Vermieter und die Zeugin haben beide unterschrieben. Im Kautions-Sparbuch war jedoch nur das Dreifache der Miete enthalten. Bei der Rückgabe der Wohnung stritt der Vermieter plötzlich den tatsächlichen Betrag ab und zahlte mir die nur den Betrag vom Sparbuch zurück – eine Differenz von mehreren hundert Euro. Gestern war ich bei der Arbeiterkammer und heute wird die Schlichtungsstelle informiert, um die restliche Kaution vom Vermieter zurückzufordern. Außerdem stellten wir fest, dass der Makler unerlaubterweise für seine Provision zuviel Mehrwertsteuer berechnet hatte, auch hier ging es um mehrere hundert Euro. Ein abgekartetes Spiel, wenn ich an meine Erfahrungen bei der Vermittlung der Wohnung denke, wo nichts stimmte, was gesagt wurde und vor allem auf Teufel komm raus gemieden wurde, etwas schriftlich bzw. via Mail festzuhalten.
Noch am selben Tag wie der Umzug fuhren wir zu Ikea, um ein Bett zu suchen, wurden dann aber woanders fündig. Das brachte mich an die Kapazitätsgrenze, denn das Erlebnis mit dem Vermieter, die Handlungsstarre, als er die ganze Kaution so frech verweigerte, lag mir noch im Magen. Ich hatte keine Zeit, das Erlebte zu verarbeiten und war überhaupt nicht in der Lage, noch weitere (finanzielle) Entscheidungen zu treffen. Bis Samstagnachmittag hatten wir die Wohnung weitgehend eingerichtet, nur eine Wohnzimmercouch fehlt jetzt noch, die ich mir liefern lassen muss. Sonntagfrüh reisten Bruder und Lebensgefährtin ab, Sonntagabend fing ich an zu packen, weil ich am Tag darauf nach Salzburg zurückfahren würde wegen der Dienstreise. Das passte mir überhaupt nicht in den Kram. Ich hatte noch nicht alles sortiert und ordentlich eingeräumt, entsprechend hab ich einiges vergessen und zwei unterschiedliche Arten von Socken eingepackt, sodass mir jetzt die Socken ausgehen. Ich hätte noch einiges einzukaufen gehabt für die Wohnung, überhaupt wäre ich gerne mal zwei Tage gar nicht außer Haus gegangen, weil das zuletzt eindeutig “too much information” war. Und die Rückkehr nach Salzburg beschwor das akute Vermieter-Trauma wieder hervor – ich versuchte die letzten Tage, meine Wohngegend so großräumig zu umfahren wie nur möglich.
Das nächste Pech dann beim Schuhkauf. Ich hatte noch vor der Fahrt nach Salzburg meine neuen Einlagen bei der Orthopädiepraxis abholen können. Sie passten in die höheren (leichten) Wanderschuhe wie angegossen, drückten aber in den flachen Turnschuhen, die zudem schon gut 6 Jahre alt waren und ziemlich abgelatscht. Ich beschloss, wenn ich schon keine Einkäufe für die neue Wohnung erledigen konnte, wenigstens neue Schuhe für den Alltag zu kaufen und ging auf Twitter-Empfehlung zu einem Fachgeschäft für Sportschuhe, das zugleich Einlagen anfertigte. Dort war der Orthopädiemeister gerade mit einem Kunden beschäftigt, zu mir kam eine weitere Verkäuferin. Obwohl sie den Schuh ein bisschen zu sehr mit eingeübten Sätzen bewarb, hatte ich das Gefühl, gut beraten zu werden, sie erläuterte, worauf ich achten müsse, dass die Zehen genug Platz im Schuh haben, was für welchen Belag gedacht sei. Sie griff sogar als erstes zu dem Schuh, den ich mir bei meinem Lieblingsgeschäft in Wien schon online angeschaut hatte. Leider rutschte er hinten an der Ferse beim Gehen. Früher hätte ich den Schuh trotzdem genommen, um der 1:1 Situation mit dem Verkäufer zu entkommen, denn das direkte (möglichst missverständnisfreie) Kommunizieren mit Fremden kostet mich immer viel Energie – deswegen kauf ich ja das meiste bei meinem Lieblingsgeschäft in Wien, weil meine Bedürfnisse dort bekannt sind. Dieses Mal fühlte ich mich stark genug zu widersprechen, sagte wahrheitsgemäß, dass der Schuh nicht passte und probierte einen anderen. Im Geschäft ging ich damit herum und er passte in dem Moment. Ich beschloss, die Schuhe gleich anzulassen und sie einzugehen, hob den Kassabon und Karton auf, damit ich ihn notfalls noch umtauschen konnte. Beim Gehen zur Bushaltestelle bemerkte ich ein leichtes Reiben an der rechten Ferse. Im Hotel angekommen wechselte ich die Socken, vielleicht lag es daran. Ich wollte nur keine dickeren Socken anziehen, weil ich sonst in den Schuhen schwitzen würde. Auch mit den neuen Socken rieb es an der Ferse. Am Abend ging ich zu Fuß zurück, weil der Bus so unregelmäßig fuhr. Insgesamt waren es 4,2 km auf dem Gehsteig (Asphalt). Ich ging flott wie ich immer gehe, ohne zu rennen. Es rieb nun an beiden Fersen, bis sie regelrecht brannten. Im Hotel stellte ich fest, dass es an beiden Stellen die Haut abgerieben hatte. Lag es an den Einlagen? War der Schuh verkehrt? Ich beschloss den Schuh am nächsten Tag zurückzubringen – auch das hätte ich früher nicht gemacht, sondern meinen Fehlkauf geschluckt und mich geärgert, nicht mutiger gewesen zu sein. Im Geschäft erlebte ich die Überraschung: Die Verkäuferin besah sofort die Außensohlen – die waren in der Mitte weiß lackiert, worauf ich beim Kauf nicht einmal geachtet hatte. Und die weiße Farbe war teilweise abgerieben und das schwarz kam darunter zum Vorschein. Sie könne das nicht entscheiden, sagte sie, der Meister komme erst morgen wieder, aber sie glaubt nicht, dass ich sie so zurückgeben kann. “SIE SEIEN SCHON ZU SEHR ABGETRAGEN!” Abgetragen nach einem Tag mit 4km auf dem Belag, für den die Schuhe EXPLIZIT gedacht sind? Ich hatte nämlich bewusst die weicheren Schuhe genommen, weil ich für Wald und Fels ohnehin extra Wanderschuhe hatte. Statt den Schuh zurückzugeben oder umtauschen zu können, musste ich ihn dort lassen samt Telefonnummer. Am nächsten Tag rief sie mich an, ich könne die Schuhe definitiv nicht umtauschen, weil sie zu stark abgetragen/abgerieben worden seien. Ich kam gleich vorbei, sie probierte es mit einer anderen Schnürung, wies aber daraufhin, dass die Einlagen hinten zu dick seien gegenüber den normalen Einlegesohlen, ich bräuchte andere Einlagen. Ich nahm die Schuhe frustriert wieder mit. Das Argument, den Umtausch abzuweisen, verstand ich immer noch nicht. Wenn 4km schon zu solchen Abnutzungserscheinungen ausreichen, lag es wohl eindeutig am Material und war vom Verkäufer an den Hersteller zu reklamieren. Danach war ich erstmal stinksauer auf den, der mir das Geschäft empfohlen hatte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet so erfahrenen Verkäufer so tun, als hätte ich einen Marathon mit dem Schuh gelaufen. Mittlerweile hat ein Freund und Ex-Schuhverkäufer die Herstellerfirma angeschrieben und um eine kulante Lösung gebeten. Antwort war, dass sie nichts tun können, nur der Händler sei zuständig.
Mich regt sowas auch deswegen auf, weil die Schuld bei mir gesucht wird. Als ich vor zwei Jahren bei SATURN meine jetzige Spiegelreflexkamera kaufte, ging ich auch am selben Tag noch zurück, weil im Karton zwar das Ladegerät enthalten war, aber der Akku fehlte. Als ich reklamierte, wollte der Verkaufsleiter den Spieß umdrehen und mir unterstellen, ich hätte den Akku absichtlich entfernt, um einen zweiten herausschinden zu können. Er ließ dabei nicht locker und legte mir Worte in den Mund, während sein Mitarbeiter zugab, dass öfter mal aus Kartons Einzelteile entnommen werden, weil sie in anderen Kartons fehlen. Er war auf meiner Seite, aber der Verkaufsleiter meinte unbedingt, mir Vorsatz andrehen zu wollen. Ausgerechnet mir, der nicht lügen kann, der sowas gar nicht abziehen könnte, ohne rot zu werden, schwitzige Hände zu bekommen, zu zittern und zu stottern. Dieses Mal durfte ich mir gefühlte zehn Mal anhören, der Schuh sei schon zu stark abgenutzt. Das war angesichts der kurzen Gehstrecke einfach absurd. Im Endeffekt fällt es auf das Geschäft zurück, denn empfehlen werd ich es nicht, auch wenn die Beratung betreffend Schubabrolleigenschaften und Einlagen kompetent erschien.
Jetzt hab ich die Situation, dass ich die Alltagsschuhe nur mit normalen Sohlen tragen kann, bis ich – evtl. – auf den Schuh passende Einlegesohlen habe, die ich mir vom Arzt erst verordnen lassen muss, wobei ich nicht einmal weiß, ob das die Kasse zahlt. Mit normalen Sohlen kommen aber rasch wieder die Druckschmerzen. In Summe ist alles eine Folge ausbleibender Informationen – zu wenig Zeit für Fragen beim Arzt, zu wenig Info vom Bandagisten, der den Gipsabdruck gemacht hat. Und auch Überforderung beim Schuhkauf, wenn ich einfach nicht weiß, was wichtig ist, worauf beim Umtausch zu achten ist.
Viel Zeit für Erholung bleibt mir nicht. Sonntagnachmittag geht es nach Wien zurück, Montagnachmittag Arzttermin, Mittwoch gehen die Einschulungsdienste weiter, die von morgens bis abends dauern.
Um das Positive aus den letzten Wochen zu sehen …gestern haben meine Salzburger Kollegen ein überraschendes Abschiedsgeschenk gemacht, mit Wanderutensilien, Bier und Flachmann mit eingravierten Initialien. Das hat mich richtig gerührt, wusste gar nicht, was ich sagen sollte und wie ich das zurückgeben kann. Außerdem traf ich bei der vorletzten Gaisbergtour noch einen alten Bekannten, den rumänischen Busfahrer, mit dem ich mich schon ein paar Mal gut unterhalten konnten. So war die Rückfahrt in die Stadt recht kurzweilig. Die Einschulung in Wien war viel angenehmer als gedacht, viele Sorgen und Ängste stellten sich als unberechtigt heraus, vor allem wird meine andere Arbeitsweise akzeptiert und ich muss nicht schon wieder gegen Widerstände ankämpfen wie früher. Das ist fast schon das Wichtigste. Meine neue Wohnlage ist schon rein kulinarisch toll, aber auch von der Infrastruktur her. Zuletzt auch ein riesiges Danke an meine Zeugin von der Wohnungsübergabe, die mich beim Zurückholen der Kaution unterstützt.
Wenn ich nach fast vier Wochen dann zurückkomme, muss ich mir dringend die Freiräume schaffen, um mich von dem ganzen Stress zu erholen. Eigentlich hätte ich nach der Woche Umzugsurlaub eine reguläre Woche Urlaub benötigt. Jetzt wird jeder freie Tag erstmal mit Einkäufen und Arztterminen zugepflastert sein. Es bleibt also vorerst noch schwierig meine autistischen Grundbedürfnisse zu stillen. Ich hoffe auch, dass ich trotz der Druckschmerzen bald wieder in der Halle bouldern kann, weil die Stunde körperliches Auspowern für mich ein gutes Ventil ist, um Frust und Anspannung loszuwerden, und nebenbei auch muskuläre Verspannungen zu lösen vermag.
Dann habe ich ein Gebetsanliegen: Viel Kraft, um den gefühlt chronischen Stress zu überstehen. Ich wette, dass du die nächste Zeit vor allem funktionierst – wie auf Autopilot.
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