Spitalsaufenthalt

spitalsausblick
Meine Hausberge (Kapuzinerberg, Kühberg und Gaisberg) im schönsten Herbstkleid (Blick aus dem Zimmer vom Spital)

Erste OP seit 11 Jahren (kleiner Nabelbruch wurde direkt genäht mit selbstauflösenden Fäden). Über die Vorbereitung hatte ich schon berichtet. Der zweite Versuch, den Chirurgen zu treffen, hat dann funktioniert. Ich hatte das Aufklärungsgespräch in seinem Büro und das mit der Anästhesistin im Schwesternbüro. Der Eingriff dauerte nur rund zwanzig Minuten und verlief komplikationslos. Nach einer Nacht im Spital wurde ich am nächsten Morgen entlassen. Meine Mutter kam am gleichen Tag aus Deutschland und half mir im Haushalt in den letzten Tagen. Mittlerweile ist die Bewegung fast schmerzfrei und mein lästiger Husten fast weg, den ich mir kurz zuvor eingefangen habe.  In diesem Beitrag möchte ich kurz erwähnen, was gut lief und was in der Kommunikation zwischen mir (Autisten) und medizinischem Personal ausbaufähig ist.

Wichtig hervorzuheben ist mir: Pfleger, Schwestern und Ärzte waren alle freundlich. Ohne Migranten würde so ein Spital nicht funktionieren, ich möchte Euch nicht missen. Danke, dass es Euch gibt!

Im (anonymen) Patientenfragebogen hatte ich die Gelegenheit genutzt, ein paar Irrtümer klarzustellen:

fragebogen
Anonymer Fragebogen im Spital

1. Autismus ist keine Klaustrophobie!

Im Vorgespräch hatte der Chirurg der Anästhesistin erklärt, ich sei klaustrophobisch und möchte daher nicht im allgemeinen Wartezimmer Platz nehmen. Als ich vor ihr saß und erläuterte, dass ich Autist bin, sagte sie “Das ist aber was ganz anderes!”

Klaustrophobie ist die Beklemmung in abgeschlossenen Räumen, Aufzügen oder bei MRT-Untersuchungen. Damit habe ich keine Probleme. Mein Unbehagen in einem vollgestopften Wartezimmer rührt von der Reizüberflutung her. Die Leute reden durcheinander, husten, nießen, stinken, schneuzen sich, Handys klingeln, Klingel- und Signaltöne lärmen. Dazu herrscht oft Hektik, Kommen und Gehen, schreiende und rennende Kinder. Inmitten dieses Reizschwalls wird man dann aufgerufen und ich habe größte Mühe, meinen Namen akustisch zu erfassen. Je länger ich bleibe, desto größer wird der emotionale und sensitive Stress (= “Overload, Überlastung”). Je nach Tagesverfassung kommt der Punkt, an dem meine Amygdala den Schalter umlegt: kämpfe oder flüchte. Im Allgemeinen wähle ich Letzteres: Ich flüchte, um mich selbst zu schützen.

2. Asperger ist kein “Autismus light”!

Am Tag der Aufnahme erwähnte ich meine Autismus-Diagnose. “Aber kein klassischer Autismus?” fragte die Schwester nach. “Asperger!” sagte ich und registrierte Erleichterung. Wie schon im Fragebogen geschrieben, sind leicht und schwer oft Einschätzungen von außen. Die Deduktion Autismus = klassischer Autismus = schwer betroffen gilt ebenso wenig wie Asperger =/= Autismus = leicht betroffen. Asperger ist Teil des autistischen Spektrums, nach dem ICD-11 (in den USA: DSM-V) gibt es weder klassischen Autismus (früher frühkindlicher Autismus) noch Asperger noch atypischen Autismus, es heißt einfach Autismus-Spektrum.

Für dieses Spektrum gibt es zwei anschauliche Definitionen:

Autismus als Spektrum unterschiedlich betroffener Eigenschaften

Egal ob klassisch oder Asperger, bei allen Autisten sind die Bereiche Sprache, motorische Fähigkeiten (Grobmotorik, Feinmotorik), Wahrnehmung, Exekutivfunktionen und Reizempfindichkeit betroffen, aber bei jedem Autisten unterschiedlich. Man wird keine identisch betroffene Autisten finden, auch wenn Mehrfachüberlappungen natürlich möglich sind. Nichtbetroffene verstehen unter “stärker betroffen” häufig, dass ein Autist nicht sprechen kann, extrem auf Geräusche reagiert und sich nicht selbst versorgen kann (Exekutivfunktionen). Dann kommen aber häufig noch Begleiterkrankungen hinzu, deren Auswirkungen nicht ursächlich mit Autismus zu tun haben. Aber: Auch ein “schwächer betroffen” wirkender Autist kann sich stark beeinträchtigt fühlen, wenn er zwar in der Lage ist zu sprechen, aber oft missverstanden wird und nicht zwischen den Zeilen lesen kann. Gerade von unauffälligen Autisten wird das Gleiche erwartet wie vom nichtautistischen Umfeld auch. Wenn man diese Erwartungen nicht erfüllen kann, erzeugt das große Frustration, Selbstzweifel bis hin zu Depressionen und (Bring-)Schuldgefühlen.

Autismus als dimensionale Größe

Die heute gängige Definition trennt nicht mehr in voneinander abgegrenzte Kategorien “klassisch”, “Asperger” und “atypisch”, weil das in vielen Fällen gar nicht so eindeutig ist, sondern spricht vom Autismus-Spektrum mit unterschiedlichen Schweregraden. Die unter Ärzten übliche Definition sieht einen Autisten irgendwo zwischen einem extremen Rand von stark betroffen und schwach betroffen. Die milden Beeinträchtigungen gehen fließend in den “broader autism phenotype” über, landläufig bekannt unter “Person hat autistische Züge”. Die Durchschnittsbevölkerung nimmt irrtümlicherweise an, dass sich an so einer Einstufung lebenslang nichts ändert (i), ausgenommen Versorgungsämter und Behörden, die wiederholt eine Schwerbehinderung neu feststellen lassen wollen, als würde sich der Autismus von heute auf morgen auswachsen.

Viel realistischer ist aber davon auszugehen, dass die Schwere der Beeinträchtigung nicht zeitstabil ist, sondern je nach Tagesverfassung (ii) und Alter (iii) wechselt. Viele Autisten leiden unter chronischen Schlafstörungen. Der Energieaushalt ist schon nach dem Aufstehen geringer als bei Nichtautisten. Es genügt dann eine geringere Menge an Umgebungsreizen, Aufgaben, Kommunikation mit Mitmenschen und anderen Herausforderungen, um den Kippschalter der Amygdala zu aktivieren. Nicht jeder Autist kann flüchten oder sich zurückziehen. Manche verstummen einfach (“Shutdown”), andere werden fremd- oder autoaggressiv (“Meltdown”). Manche Symptome verändern sich mit dem Alter, aber auch mit dem sozioökonomischen Status. In einer ruhigen (aber teuren) Wohnung lässt sich ein stressiger Alltag besser aushalten als wenn schon das unmittelbare Umfeld laut und schwierig ist. Manche autistischen Eltern proftieren von Kindern durch wachsende Selbstständigkeit, aber auch das Spiegelbild, in dem sie sich selbst besser erkennen und verstehen, andere leiden sehr darunter, nicht mehr alleine zu sein und sich zurückziehen zu können. Geschmacksempfindlichkeiten können in der Kind- und Schulzeit viel stärker ausgeprägt sein als im Erwachsenenalter. Die kommunikative Grundsymptomatik tritt meist dann erst richtig in den Vordergrund, wenn man aus dem Elternhaus auszieht und sein Leben selbst organisieren muss.

All diese Faktoren (und noch andere) bedeuten, dass Autisten unzutreffend als stark oder schwach betroffen kategorisiert werden.

3. Postoperative Nachsorge ausbaufähig

Erst war die Rede von einem Netz, das eingesetzt wird, um die Bruchpforte zu verschließen. Nachdem sowohl Chirurg als auch Oberarzt (“minimal”!) bei der Mittagsvisite einen Blick drauf warfen, wurde stattdessen eine direkte Naht mit sich selbstauflösenden Fäden gewählt, weil der Bruch unter 2cm groß war. Die haben allerdings eine höhere Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens des Bruchs. Ob das Auswirkungen auf meine geplante Wiederaufnahme des Boulderns in der Halle ab nächstem Frühling hat, weiß ich nicht.

Schon im Vorgespräch war geplant, dass während meines Aufenthalts eine Ernährungsberaterin darüber aufklären sollte, wie ich mich am besten ernähren konnte, nachdem ich regelmäßig unter Blähungen und Refluxbeschwerden leide. Am Aufnahmetag hat man leider vergessen, sie zu kontaktieren, am Entlassungstag danach hatten sie keine Zeit. Für mich war damit automatisch klar, dass der Termin wohl längere Zeit nicht stattfinden wird. Ich bekam das Kärtchen mit der Durchwahl in die Hand, informierte mich dann selbst auf der Website und wählte stattdessen das Kontaktformular, in dem ich meine Situation besser erklären konnte als am Telefon und dazu schrieb, dass ich Autist bin. Auf das E-Mail vor fünf Tagen erhielt ich keine Antwort mehr.

Wenige Tage vor der OP konnte ich mich beschwerdefrei ernähren, dann verkühlte ich meine Füße durch die Klimaanlage im Büro, bekam starkes Halsweh, das sich aber wie meine Refluxbeschwerden anfühlte, die mich seit zwei Jahren quälen. Ich fühlte mich schlapp wie bei einem Infekt, aber ohne Fieber. Einen Tag vor der OP fühlte ich mich so miserabel, dass ich die OP am liebsten abgesagt hätte, aber es hätte keinen besseren Termin gegeben. Ich wurde untersucht, 36.8°C hat man im Ohr gemessen (meine Normaltemperatur ist meist um 36°C, aber das verschwieg ich), die Lunge war offenbar frei. Nach der OP bekam ich einen trockenen Reizhusten, was man auf das Intubieren hätte schieben können. Unklar war eigentlich, ob es wirklich Reflux war oder eine Verkühlung. Die Schonkost zum Frühstück – zwei Brote mit Butter, Marmelade und Kaffee – waren nicht wirklich ideal bei Reflux, aber egal. Ich wurde dann entlassen mit dem vorläufigen Entlassungsbrief, wie ich nach Hause komme, hat man nicht gefragt. Ich fragte noch, wo die nächste Apotheke für die aufgeschriebenen Medikamente sei, die war natürlich nicht in der Nähe. Eigentlich war es fahrlässig, mich so gehen zu lassen. Ich dürfte nicht gut ausgesehen haben, die Apothekerin bot mir einen Stuhl an. Ich ging danach zum nahen Taxistand und ließ mich den Kilometer bis zur Hausärztin fahren, um mich krankschreiben zu lassen (die 1,6km kosteten 10 Euro, weil wir im Stau standen). Dort stand ich dann vor verschlossenen Türen, weil letzter Urlaubstag – der “docfinder” im Internet hatte das nicht vermerkt und eine eigene Webseite hat sie leider nicht. Die letzten 600m bin ich dann zu Fuß nach Hause gegangen. Nur: Ich wusste nun weder, was ich essen sollte/durfte, noch worauf ich eigentlich bei der Wundheilung achten musste. Am Tag der Entlassung blutete es nochmal ins Duschpflaster durch, geronn dann aber. Sollte ich deswegen zum Arzt oder war das normal? Am liebsten hätte ich eine klassische Checkliste gehabt.  Der Hausarztbesuch am nächsten Tag brachte auch keine Aufklärung: Erster Tag nach dem Urlaub, Wartezimmer gesteckt voll. Der Hinweis auf den wiederkehrenden Reflux wurde mit der Dauermedikation von Pantoprazol beantwortet, und zusätzlich Vitamin D, weil Pantoprazol Osteoporose begünstigt und dafür bin ich genetisch bedingt bereits Risikopatient. Ich solle mich kalziumreich ernähren. Gegen den Reizhusten bekam ich Paracodin. So habe ich mich die ersten Tage nach der OP zwar weniger bewegt, bis auf einen kurzen Spaziergang, aber hatte anfangs einen starken trockenen Husten, der einfach nicht weichen wollte. Für die Wunde kann das nicht förderlich gewesen sein, aber es blutete zumindest nicht mehr nach. Dennoch fühlte ich mich deswegen unwohl. Letzendlich bekam ich den Husten durch reichliches Teetrinken weg, wobei erst der Ingwertee (wahlweise verfeinert mit Apfelschalen oder frischer Zitrone) deutliche Linderung brachte. Der Husten löste sich, was eher auf eine Bronchitis als auf einen Refluxhusten hinweist. Weil ich nebenher aber auch Pantoprazol nahm, werde ich wohl nie erfahren, was den Husten ausgelöst hat.

Die Rücksprache mit dem Chirurgen am Entlassungstag ergab, dass ich wie besprochen nach zwei Wochen Schonung wieder langsam anfangen darf mit Sport. Nach zwei weiteren Wochen sollte der Bruch soweit verheilt sein, dass ich auch über 5kg wieder heben darf, also etwa meinen Koffer für die Dienstreise. Das einzige, was mir nicht klar ist/war, was Ärzte unter “Wandern” verstehen. Meine Wanderungen bedeuten im Schnitt, dass ich 1200 Höhenmeter und 20km in unter sechs Stunden reine Gehzeit absolviere. Langsam gehen ist für mich schwierig, ebenso längere Pausen machen. Mein Wandern unterscheidet sich also vermutlich vom ärztlichen “leichte Sportarten wie wandern”. Diese Vieldeutigkeit bleibt für mich bis jetzt unklar. Nachdem ich natürlich auch daran interessiert bin, keinen Rückfall zu erleiden, habe ich meine ersten Wanderziele von den Anforderungen noch heruntergeschraubt:

  • mit dem Gaisbergbus zur Zistelalm und den Rundwanderweg (5km, 130 hm).
  • Pinsdorf – Gmundnerberg – Altmünster (11km, 430hm)
  • Gmunden – Grünberg, Abfahrt Seilbahn (10km, 600hm)
  • St. Gilgen – Falkenstein – St. Wolfgang (9km, 370hm)

und andere Touren mit hohem Forstweganteil, wo es nicht zu steil bergab geht. Wie ihr seht, mach ich schon wieder Pläne – das hält mich am Leben. Ich muss einfach aus der Stadt raus und in die Natur.

Essentiell ist also genügend Information. Klare Anweisungen. Lieber Einzelschritte extra erklären, weiter aufdröseln. Je mehr Informationen ich habe, desto entspannter bin ich. Und wenn per Mail nicht geantwortet wird, soll man das dazu schreiben. Einem Autisten eine Telefonnummer in die Hand drücken, bringt eher wenig. Für mich nehme ich mit, dass so eine “Autistenkarte”, wo draufsteht, was in der Kommunikation mit mir hilft, manchmal von Vorteil wäre, ebenso eine Begleitperson, die wichtige Sachen erfragen/besorgen kann, sodass ich nicht unter Narkoseresteinfluss zu Fuß zur nächsten Apotheke wanken muss.

Wenn das Gesundheitswesen nicht unter akutem Personalmangel leiden würde und Ärzte und Pflegepersonal mehr Zeit hätte, könnte ich sowas vor Ort ansprechen. Aber um Autismus zu erklären, reichen drei Minuten zwischen Tür und Angel nicht, dafür braucht es schon mehr. Wie kann man medizinisches Personal also besser auf Patienten wie uns vorbereiten?

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One thought on “Spitalsaufenthalt

  1. Hannah C. Rosenblatt 11. November 2018 / 23:02

    Ich hab mal drüber nachgedacht den Behandler_innen einen Fragebogen zu geben den sie ausfüllen müssen, während ich den Patientenanamnesebogen und anderen Papierkram ausfüllen muss.
    Das wär nur fair irgendwie und würde die Wichtigkeit unterstreichen.
    Sie müssen viel über die zu behandelnde Person wissen, die Person muss viel über die Behandlung wissen- nur so kann es gut für alle laufen

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