Ein schwieriger Umgang für mich. Ich weiß, es gibt viel viel mehr Autisten, die Familien gegründet haben oder erst später mit Familie von der Diagnose erfuhren. Für mich selbst ist das alles jedoch sehr weit entfernt von meiner Lebensrealität. Beziehung? Fehlanzeige. Nach über drei Jahrzehnten Lebenszeit könnte man meinen, dass da schon was vorhanden sein müsste. Jetzt bin ich in dem Alter, indem viele Weggefährten, Bekannte und Freunde, aber auch Arbeitskollegen eine Familie gründen. Das ist für mich leider oft gleichbedeutend mit dem Ende der Bekannt- oder Freundschaft.
Selbst wenn der Kontakt erhalten bleibt, ist es nicht mehr dasselbe wie vor. Man ist nicht mehr Priorität und auch die Themen verschieben sich. Ich tue mir wahnsinnig schwer damit, Interesse zu bekunden, speziell, wenn der andere von sich aus die junge Familie anspricht, was die Frau macht, was das Kind macht, wo die Sorgen und Nöte bestehen. Ich kann mich da nicht hineinversetzen. Beinahe erzwungen lenke ich das Gespräch dann in ein Fahrwasser, wo ich wieder mitreden kann. Zumal es mich auch deprimiert und immer wieder meine Einsamkeit vor Augen führt. Lieber Themawechsel und über etwas reden, was positive Erinnerungen weckt oder ablenkt.
Seit meiner Übersiedlung nach Salzburg sind die Gelegenheiten, (für mich) wichtige persönliche Gespräche über meine Sorgen zu führen leider am Nullpunkt angelangt. Es staut sich viel auf und entlädt sich in der ein oder anderen unangenehmen Art und Weise. Momentan vor allem darin, dass ich in meiner Freizeit einen akuten Exekutivfunktionsstau habe. Ich tue mir schwerer als früher Pläne umzusetzen, weil ich alles alleine machen muss. Wenn man sich früher verabredet hat, habe ich mich schon vorher gefreut, nicht nur auf die Tour, sondern auch auf die Person. So eine Gelegenheit habe ich nie sausen lassen. Jetzt wird die Freude erst realisiert, wenn ich mich morgens überwunden habe, aufzustehen. Und ich kann mich immer schlechter entscheiden, was ich machen soll – schon alleine deswegen, weil ich hier ohne Auto weniger bequeme Möglichkeiten habe als von Wien aus. Ja, die Berge vor der Tür, denkt man, aber so viele Möglichkeiten gibt es gar nicht, speziell jetzt im langen Winter. Da bietet Wien weitaus mehr. Auch meine Einkaufspläne bringe ich mangels Löffel und mangels Begleitung nicht durch, geschweige denn die Kletterhallen in Salzburg durchzuprobieren – wieder fehlt die Begleitung, jemand, der die “Angst” vor dem Unbekannten nimmt. Ich komme mir so hilflos vor und es wirkt so grotesk im Anbetracht meiner beruflichen Tätigkeit, wo mir vieles scheinbar mühelos gelingt, wenngleich das Spezialinteresse hier sicherlich mithilft.
Ich finde momentan keine Lösung. Zwar traf ich unterwegs schon andere Wanderer und man hat sich Nummern ausgetauscht, aber als Schichtarbeiter ist es nahezu unmöglich, gemeinsam ein freies Wochenende zu haben, zumal meine freien Wochenenden oft schon verplant sind. Die Bekanntschaften verwelken also mit den Wochen und Monaten, und meist bin ich derjenige, der sich meldet, aber das mache ich auch kaum noch, aus Furcht vor einer Absage. Weil ich nicht weiß, ob das wieder so ein socialising thing ist, aus Höflichkeit Kontakte auszutauschen, aber ein ernsthaftes Zusammentreffen nicht angedacht ist.
Und social media entwickelt sich gerade auch in diese Richtung. Bei Facebook bin ich inzwischen ausgestiegen, zu viel Einbahnstraße, zu wenig Interaktion, und nachdem ich Facebook nie am Handy hatte, auch kein Medium, um sich ein Treffen auszumachen. Immerhin habe ich fast drei Jahre bei Facebook durchgehalten, bis sich die Themen in den diversen Gruppen im Kreis drehten. Ich stieg dort ein, als ich gerade meinen Wissensdurst nach Klinefelter und Autismus stillen wollte. Der ist derzeit ziemlich versiegt, der Fachtag in Rosenheim am kommenden Wochenende wird eher eine Ausnahme sein. Auch auf Twitter sorgen die zunehmenden technischen Probleme (immer wieder Kontaktabbrüche, nicht angezeigte Privatnachrichten) und die aufgeheizte gesellschaftspolitische Stimmung dafür, dass ich mich innerlich entferne. Und oft ist es auch hier so, wie im realen Leben, dass ich die erste PN schreibe, und manchmal das Gefühl habe, es ist gar nicht gewollt, dass es dieses Gespräch gibt, und dass ich vielleicht zu viel schreibe und das gar nicht interessiert, wie auch oft im realen Leben.
Das alles in der Summe genommen ist gerade ziemlich deprimierend. Autismus heißt nicht automatisch, dass man immer allein sein will. Alleine ja, einsam nicht.
Auch, wenn es Dir nicht wirklich weiterhilft, die gleiche Erfahrung habe ich schon sehr lange Zeit im Social Media – vor allem auch in Foren – gemacht. Echter und konstanter Austausch findet nicht statt. Jemand schreibt etwas, (leider nur) ich antworte und das war es dann auch schon.
Vielleicht tröstet es Dich, dass ich hier sehr gerne mitlese 🙂 und schon traurig war, dass es so still geworden ist.
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Ich habe mehrere Menschen im Umkreis, denen es genauso wie dir geht… Auch wenn das nicht wirklich ein Trost sein kann. Ich finde auch auf FB selten einen Einstieg zum Dialog, und auf Twitter nicht immer Zeit
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Danke für deinen Beitrag. Meine Gedanken kreisen im Moment auch um das gleiche Thema. Die ständige Einsamkeit (schon seit… immer) geht mir ziemlich an die Substanz und der Leidensdruck ist immens. Leider scheint es keine Lösung zu geben, zumindest finde ich keine.
Ich hoffe es tröstet dich ein wenig, dass es dir nicht alleine so geht.
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Ich kenn das zu gut. Wäre vor vielen Jahren nicht eine sehr abstruse Kette von Ereignissen passiert, durch die ich meinen Mann kennenlernte, säße ich heute wohl in genau derselben Situation. So sah mein ganzes Leben vorher aus.
Von mir wollte niemand was. Ich musste mich immer melden. Und so ist es auch heute noch. Mein Mann ist der einzige Kontakt, den ich außerhalb des Internets mit anderen Menschen habe.
Foren sind schön und gut, aber wie du schon sagst, es dreht sich schnell alles im Kreis und zu wirklich tiefsinnigen Gesprächen nimmt sich auch niemand wirklich die Zeit.
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Hallo, danke für den Beitrag. Social Media, allen voran Facebook, ist in meinen Augen in keinster Weise ein Kommunikationsmedium. Es ist oberflächlich, hohl und dient nicht der Kommunikation, sondern der Selbstdarstellung. Ich schaffe es leider kaum irgendwelche sinnvollen „Gespräche“ dort zu führen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Du bist der selben Meinung wie der Poster, dann erhältst du zur Belohnung „likes“. Oder nicht, dann bist du draussen. Die Likes sind eine enorme Disziplinierungsmassnahme.
Wirklich in die Tiefe geht es auf FB nicht. Ein Beispiel: Ich bin politisch links, kann aber die eine oder andere Position von rechten oder rechtsextremen Parteien manchmal (!) und selten auch nachvollziehen. Trotzdem würde ich sie niemals (!) wählen. Aber niemand ist immer und ausschließlich nur ganz dumm, auch nicht die AfD oder die FPÖ. Daher würde ich z. B. gerne mal eine Position vertreten, die auch (!) eine winzige rechte Idee am Rande einfließen lässt. Nö, geht nicht. Auf Facebook gibt es in jeder Filterblase sehr enge Vorschriften über „Normalität“ und akzeptiertes Verhalten, mit Abweichlern wird nicht diskutiert, das Motto, lautet, „nicht ein Mal ignorieren“.
„Normal“ ist laut C.G. Jung für Gesellschaften immer die eigene Position. Ganze historische Epochen hatten Definitionen von „normal“, die wir heute als grenzwertig, abstrus, falsch oder was auch immer definieren. Heute kann man den Gedanken auch auf Facebook-Filterblasen anwenden. 😉 Glücklicher Weise wird man heute nicht mehr gekreuzigt oder verbrannt, aber man wird aus dem Fecebook-Thread ausgeschlossen und/ oder der Algo zeigt die abweichenden Postings nicht, weil sie „nicht interessant“ sind. Man bleibt also schlicht und einfach alleine.
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