Verkehrslärm und Kommunikation

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Die häufigste Aussage auf Lärmempfindlichkeit ist “Du gewöhnst Dich dran!”

Das hängt jedoch stark von der Lärmquelle ab. An gleichmäßige und regelmäßige Geräusche kann ich mich leichter gewöhnen, etwa, wenn die Straßenbahn immer im gleichen Intervall nahe der Wohnung vorbeirattert, wenn man in der Ferne den gleichmäßigen Geräuschpegel einer Autobahn hört, wenn im Kaffeehaus – ohne Musik! – ein Klangteppich aus Gesprächen in normaler Lautstärke entsteht.

Sich an unberechenbare, plötzliche, unregelmäßige Geräusche gewöhnen? Eher nein. Auch nach vier Jahren Wohnen in einer Seitengasse kann ich das Fenster nicht allzu lange öffnen, ohne von beschleunigenden, hupenden, quietschend abbremsenden Auto- oder Motorradfahrern gestört zu werden. Es gibt aber grundsätzlich Phasen, je nach Alltagsform, wo es länger tolerierbar ist. Verkühlungen, depressive Grundstimmung, Schlafstörung und Anspannung verstärken die vorhandene Empfindlichkeit. Wenn ich mich zudem bereits über Stunden hinweg erhöhter Reizbelastung aussetzen musste, bringt eine weitere Situation mitunter das Fass zum Überlaufen. Im Gegensatz zu früher weiß ich das alles jetzt aber und kann gegensteuern.

Wiederkehrende Problemsituationen mit Sensorik und Kommunikation im Alltag:

Nicht nur reagiere ich empfindlicher auf Geräusche als andere Menschen, sondern kann diese auch schlechter gegen Hintergrundgeräusche abgrenzen.

Wenn während einem Gespräch ein Radio läuft, stört das meine Konzentration und Redefluss erheblich. Instrumentalmusik ist noch aushaltbar, aber bei Gesang wird es schon schwieriger, besonders, wenn es in der Muttersprache ist und ich zum Zuhören gezwungen werde. Die nächste Stufe ist plärrende Werbung, die zudem oft um ein, zwei Stufen lauter ist als die Musik. Ganz oben steht aber das Gelaber der Radiomoderatoren. Wenn ich mich währenddessen mit jemand unterhalten möchte, gerate ich immer wieder ins Stocken. Darum brauche ich Ruhe bei Gesprächen.

Ablenkend ist es auch, wenn ich gerade nachdenke, um etwas zu sagen, und nebenan finden Gespräche statt. Ich verliere dann leichter den Faden und Redefluss. Restaurants mit schlechter Akustik sind auf Dauer erschöpfend. Kantinen praktisch unaushaltbar mit dutzenden Gesprächen gleichzeitig, dazu eventuell noch Geschirrgeklapper.

Telefongespräche in den öffentlichen Verkehrsmitteln empfinde ich als störend und noch dazu unhöflich. Wenn ich selbst angerufen werde und es rauscht der Straßenverkehr vorbei, dann verweigere ich die Annahme. Ich verstehe nichts mehr. Manchmal hört man im Telefon des anderen Geräusche, die ebenfalls belasten, wie Staubsauger, diverse Küchengeräte, Motorsägen, Baulärm, durchgehendes Piepsen, etc. Die Hintergrundgeräusche führen dazu, dass Gespräche wie ein Code verschlüsselt werden, die ich hinterher erst mühsam entziffern muss, was mir nicht immer gelingt.

Wie unlängst wieder bemerkt, ist Verkehrslärm wesentlicher Verhinderer in der Kommunikation, insbesondere, wenn ich bei Hauseingängen an der Sprechanlage auf Reaktion warte und reger Verkehr herrscht. Ich fürchte dann ständig, den Moment zu verpassen, wenn sich der Adressat meldet, weil es leicht im nächsten Verkehrsschwall untergeht. Das macht mich immer ganz unrund. Ähnlich in einem Wartezimmer mit Musikbeschallung und Hintergrundgemurmel oder -unterhaltungen. Der Moment, wo mein Name aufgerufen wird und ich wieder den Code dechriffieren muss.

Es ist also eher an zweiter Stelle die eigentliche Lärmempfindlichkeit als in Kombination mit einer Situation, wo ich denken und/oder reden muss, bevor ich etwas tue. Dadurch erst werden Situation zur Belastung, verlangen enorm viel Konzentration und führen für das Gegenüber zu unerwarteten Aussetzern, wo ich warten muss, bis wieder Ruhe herrscht, ehe ich fortfahren kann – nicht weil ich etwas vergessen habe, sondern weil mein Gehirn nicht richtig filtern kann.

Einfache Gegenmaßnahmen, die sich bei mir als wirksam erwiesen:

Radio aus während Gesprächen oder auf Internetradio umstellen (ohne Werbung und Gespräche), alternativ auch Instrumentalmusik (Klassik). Ein Minimum an Reizen brauche ich durchaus. Klassische Musik hilft meiner Konzentration und Kreativität auf die Sprünge.

Kantinen und Restaurants zur Rush Hour meiden oder die ruhigste Ecke suchen (in meiner Studienzeit suchte ich intuitiv – noch ohne Diagnose – immer einen Platz am Rand mit gutem Überblick und so, dass nicht ständig jemand vorbeilief, weil das meine visuelle Über-Wahrnehmung überbeanspruchte).

In den Öffis bin ich möglichst oft mit Kopfhörern unterwegs (Stöpsel, nicht umschließende, weil ich dennoch genug mitbekommen möchte, um etwa Sirenen oder Klingeln nicht zu überhören) und höre meine Musik. Bei gutem Wetter nehme ich lieber das Rad. Zwar hab ich dann den Verkehrslärm unmittelbarer, aber mein Fokus liegt auf meinen Fahrkünsten, so kann ich die Umgebung tatsächlich ausblenden. Das ist übrigens mit einer der Gründe, weshalb manche Autisten sich in Unterhaltungen plötzlich zurückziehen und auf ihr Handy starren. Durch den Fokus versuchen, den Overload zu vermeiden.

Beim Telefonat muss es ruhig sein, die sichere Variante ist ein E-Mail, die ich ebenfalls am Handy beantworten kann.

Reizüberlastungen dosiert über den Tag verteilt, nicht zu viel auf einmal (kein Einkaufsmarathon und dann abends noch weggehen), an die Tagesform anpassen und nicht mit Gewalt durchdrücken, wenn es zeitlichen Spielraum gibt.

Klar, manchmal müssen auch wir Autisten durch, sei es beruflich oder weil wir einfach mal gerne auf ein Konzert unseres Lieblingskünstlers gehen. Solche Phasen dürfen nur nicht zum Dauerzustand werden. Das ist allerdings auch im Interesse von Nichtautisten, nur besitzen wir unterschiedliche Reizschwellen, angefangen von summender Heizung, flackernden Neonröhren und Computergehäuse bis zum Staubsauger und Stahlbetonbohrer.

6 thoughts on “Verkehrslärm und Kommunikation

  1. sinnesstille 23. November 2016 / 22:14

    Sehr gut beschrieben. Kann ich beinahe 1:1 so unterschreiben.

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  2. blutigerlaie 23. November 2016 / 22:33

    Kenne ich viel auch. Ich stelle immer wieder folgendes fest: meine Geräuschempfindlichkeit ist äußerst abhängig von der Tagesform. Telefongespräche (oder Sprechanlage) sind für mich auch am schwersten, weil sie nur von der Akustik abhängen. Selbst die stille Gegenwart anderer Menschen stört mich da. Und ich neige auch dazu, finde das allerdings doch eher hilfreich, bei zuviel Input alles auszublenden. Dann bin ich nur noch bei meinen Gedanken.

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    • atarifrosch 23. November 2016 / 22:56

      Bei zu viel alles ausblenden – das konnte ich früher, während meiner Schulzeit. Meine Lehrer verzweifelten daran, daß ich mich manchmal völlig ausgeklinkt hatte und maximal auf direkte Ansprache reagierte ;-) – allerdings habe ich diese Fähigkeit wohl mittlerweile völlig verloren, was ich oft bedauere.

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  3. atarifrosch 23. November 2016 / 22:53

    Ja, kenne ich auch fast alles genauso. Mit einer Ausnahme: Musik aus dem Kopfhörer im Straßenverkehr oder generell in der Öffentlichkeit (zum Beispiel auch in einem Supermarkt) geht für mich gar nicht, weil die Musik da entweder einen zusätzlichen Klangteppich bildet (offener Kopfhörer) und damit zusätzlich verarbeitet werden muß oder sämtliche Umgebungsgeräusche – auch die, welche ich wahrnehmen muß – ausblendet. Das ist mir schlicht zu riskant.

    Was die Regelmäßigkeit von Verkehrsgeräuschen angeht: Ich wohne in Düsseldorf an einer Hauptstraße gegenüber einer Kirche (nein, das hab ich mir nicht ausgesucht). Den Autoverkehr kriege ich meistens einigermaßen ausgeblendet, aber das Kirchengebimmel mindestens dreimal am Tag für jeweils drei Minuten empfinde ich auch nach 13 Jahren immer noch als teils extrem störend, vor allem morgens um 7:00 Uhr (ich bin Spätmensch). Die Straßenbahnen* an sich würde ich nicht mehr so bewußt wahrnehmen, wenn sie nicht allesamt lautstark über eine Gleiskreuzung rattern würden.

    Immerhin bin ich in Mannheim an einer Hauptstraße mit bis zu sechs Straßenbahnlinien – also bis zu 12 Züge in (in diesem Fall, wenn ich das noch recht weiß) 15 Minuten – aufgewachsen, allerdings gab’s da keine Gleiskreuzung im Hörbereich.

    * zwei Linien entlang der Straßenführung, also vier Züge pro 10 Minuten, sowie eine weitere Linie entlang der nächsten Querstraße, also nochmal zwei Züge pro 10 Minuten tagsüber. Abends und früh morgens längerer Takt, nachts zwischen ca. 0:30 und 4:00 Uhr fährt keine.

    Und trotzdem merke ich es deutlich, wenn ich mal außerhalb übernachte und es dort kaum oder keinen hörbaren Straßenverkehr in der Nähe gibt bzw. (vor allem in Hotels) die Fenster schalldicht genug sind, daß man davon nichts mitbekommt. Dann schlafe ich gleich deutlich besser (vorausgesetzt natürlich, es gibt dann nicht wieder andere Geräuschquellen wie quasselnde Leute oder dröhnende Fernseher aus Nachbarräumen).

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  4. Zarinka 24. November 2016 / 9:30

    Hm…bei mir klappt das leider (bis heute) nicht, also das mit dem Ausblenden von Geräuschen.

    Alles was über 50 db liegt, empfinde ich persönlich einfach viel zu laut.
    Hinzu kommt halt die Gesamtheit der vielen Geräusche die mir große Probleme bereiten. Das stresst mich immer wieder ungemein.

    Hier zuhause lebe ich fast in „absoluter“ Stille…keine Musik, kein Fernseher der läuft und das Telefon ist oft auf stumm geschaltet.

    Selbst die Haustürklingel schalte ich oftmals aus. Die Fenster stets geschlossen (nur zum Lüften werden sie morgens und spät abends geöffnet.)

    Wenn ich mal unterwegs bin, dann trage ich oft Kopfhörer…nicht weil ich Musik mit diesen höre…nein, es ist nur ein leichtes Rauschen (rosa Rauschen) welches ich mit ihnen höre (Hat mein Sohn extra für mich auf meinen Pp 3-Player drauf getan.)

    Nur so kann ich mich einigermaßen auf (z.B.) das Einkaufen konzentrieren und werde nicht von den vielen anderen Geräuschen und Eindrücken, „erschlagen“. Auch wenn ich mit dem Fahrrad mal unterwegs bin, brauche ich dieses Rauschen auf meinen Ohren…so bin ich wenigstens etwas von den anderen Geräuschen um mich herum ein wenig „geschützt“.

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  5. culbia 24. November 2016 / 19:35

    In vielem geht es mir gleich. Wahrscheinlich auch einer der Gruende warum ich so gerne spanische Musik mag. Diese Sprache kann ich kaum.

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